Klimawandel lässt Meeresspiegel drastisch steigen

Forscher verschärfen Prognose, weil sie die Folgen von Gletscherschmelze und erwärmten Meeren besser verstehen

STOCKHOLM taz ■ Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnte der globale Meeresspiegel bis zu zwei Meter steigen. Diese neue Prognose werden WissenschaftlerInnen auf der am Dienstag in Kopenhagen beginnenden dreitägigen Klimakonferenz „International Scientific Congress on Climate Change“ präsentieren.

Die Schätzung liegt um ein Mehrfaches über derjenigen, die das UN-Weltklimarat IPCC vor zwei Jahren gemacht hatte: Damals war man davon ausgegangen, dass der Meeresspiegel um 20 bis 60 Zentimeter ansteigen werde. Berücksichtigt wurden bei dieser Prognose allerdings nur die Wasserzufuhr in die Ozeane durch schmelzender Gletscher und die Ausdehnung des Volumens des Meereswassers aufgrund dessen Erwärmung, der thermischen Expansion. „In diesen Berechnungen war die Gefahr eines Abrutschens des Eises von Grönland oder der Antarktis nicht enthalten. Dadurch könnte der Anstieg auch deutlich höher ausfallen“, sagte Stefan Rahmstorf, Professor für Ozeanografie an der Universität Potsdam und einer der Autoren des IPCC-Berichts.

„Die Dynamik des Schmelzens der polaren Eisdecken wurde vom IPCC nicht ausreichend berücksichtigt“, meint David Vaughan vom British Antarctic Survey: „Mittlerweile haben wir aber eine viel bessere Vorstellung von dem bekommen, was auf Grönland und in der Antarktis vor sich geht, und können darauf zuverlässigere Vorhersagen gründen.“ Neue Erkenntnisse zeigten, dass die Erwärmung des Meereswassers und das schmelzende Meereseis sich viel unmittelbarer als bislang angenommen auf die Landeismassen übertragen. Das Landeis könne viel schneller als vermutet dünner, brüchiger und instabiler werden. Das gelte nicht nur für den Rand dieser Eismassen, die Auswirkungen setzten sich in sehr kurzer Zeit weit in deren Zentrum hinein fort.

Welche Folgen der drastische Anstieg des Meeresspiegels sowie die Auswirkungen des Klimawandels weltweit haben werden, soll den TeilnehmerInnen der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember anhand eines virtuellen Atlas demonstriert werden. Hinter dem Projekt steckt die Erkenntnis, dass die Vielzahl der Analysen und Forschungsberichte es immer schwerer macht, einen Überblick zu behalten, wo Menschheit und Natur wegen zunehmender Niederschlagsmengen, eines steigenden Meeresniveaus, Dürren oder einer Kombination dieser Folgen des Treibhauseffekts am verletzlichsten sein werden.

Gerade beim Anstieg des Meeresspiegels zeigt sich aber, wie lange es dauern wird, eine einmal angestoßene Entwicklung zu verlangsamen oder ganz zu stoppen. Selbst wenn es gelingt, die CO2-Emissionen zu stabilisieren und den Anstieg der atmosphärischen Temperatur abzubremsen, werde sich das Meer noch auf hunderte von Jahren weiter erwärmen und expandieren, sagt der Klimawissenschaftler Jason Lowe. Klimaforscher Rahmstorf ergänzt: „Für 2200 erwarten wir einen Anstieg um 1,5 bis 3,5 Meter, wenn wir die Erwärmung nicht stoppen. Das wäre das Ende für viele unserer Küstenstädte.“

REINHARD WOLFF