Ringen um Relevanz

Kofi Annan will versuchen, die Generalversammlung, in der alle Mitglieder mit gleicher Stimme sprechen, zu stärken

von BERND PICKERT

Gerade ein Jahr ist es her, da stellte US-Präsident George W. Bush in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung am 12. September 2002 die Vereinten Nationen vor die Wahl: Entweder die Weltorganisation unterstütze die USA in der Vorbereitung des Irakkrieges – formal verbrämt als Durchsetzung der damals gültigen Sicherheitsratsresolutionen –, oder die UNO werde „irrelevant“. Die UNO folgte nicht, und heute bitten die USA um Hilfe beim Besatzungsregime.

Und doch haben der Irakkrieg und der monatelange Streit im Weltsicherheitsrat die Organisation auf eine Probe gestellt, die sie kaum aushalten konnte. Der Sicherheitsrat versucht noch immer, aus der Krise wieder herauszukommen, die Fortsetzung der UN-Peacekeeping-Missionen ist permanent durch Querverweise der USA auf den Internationalen Strafgerichtshof bedroht, und die Arroganz der US-Regierung hat die Frage nach Sinn und Zweck der ganzen Institution aufgeworfen. All dessen ist sich UN-Generalsekretär Kofi Annan, nicht nur qua Funktion ein überzeugter Multilateralist, wohl bewusst, wenn er in seiner Eingangsansprache zur heute beginnenden Generaldebatte den Ton angeben wird – direkt im Anschluss ergreift wiederum der US-Präsident das Wort.

Wie relevant die UNO aber tatsächlich ist, hängt nicht nur davon ab, wie viel Relevanz die verbliebene Supermacht ihr zubilligt, sondern auch davon, ob sie zu institutionellen Reformen in der Lage ist, um die eigene Effektivität zu steigern. Kofi Annan hat in seinem am 9. September vorgestellten Bericht eine ganze Reihe von dringenden Veränderungen angerissen. Nicht zuletzt will Annan versuchen, die Vollversammlung selbst, das einzige UN-Gremium, in dem alle Mitgliedstaaten mit gleicher Stimme sprechen und niemand ein Vetorecht genießt, wieder zu stärken. „Viele Mitgliedstaaten sind der Auffassung, dass der Beitrag der Vollversammlung zur Arbeit der Organisation kleiner geworden ist, und ich teile diese Sorge“, schreibt Annan in seinem Bericht.

Schon die Tagesordnung der Generalversammlung gibt dem Generalsekretär Recht. Eine seitenlange Agenda mit mehreren hundert Tagesordnungspunkten, deren Sinn sich Außenstehenden nur manchmal erschließt, soll in diesen Wochen abgearbeitet werden – kein Wunder also, dass die Versammlung schon seit einer Woche tagt, ohne dass die Öffentlichkeit davon Kenntnis genommen hat. Ausnahme war die Resolution, mit der die Vollversammlung das israelische Vorgehen gegen Jassir Arafat verurteilte, eine Resolution aber, die von Israels Regierung sofort als „irrelevant“ abgetan wurde – nicht ganz zu Unrecht. Annan will nun die Themen der Vollversammlung reduzieren und bündeln, um die politische Außenwirkung der Versammlung zu vergrößern.

Was Annan für die Vollversammlung vorschlägt, das will er auch bei den anderen Aufgabenfeldern der UNO erreichen: Reduzieren, bündeln, effektivieren. Unter der Überschrift „Das tun, worauf es ankommt“ beklagt Annan, eine Vielzahl von Aktivitäten, Berichten und Sitzungen absorbiere die Energie der Delegierten und des Generalsekretariats. Die UNO müsse in der Lage sein, sich von Überflüssigem zu trennen, um sich auf die Umsetzung der Millenniumsziele konzentrieren zu können und dafür politischen Willen zu mobilisieren.