SPD hat ihr Wahlkampfthema

Die Bürgerversicherung soll nach der Wahl 2006 kommen – wenn es dann noch nach Gerhard Schröder geht. Besserverdienende sollen belastet werden

Die Grenze zwischen gesetzlich und privat versichert soll aufgehoben werden

VON ULRIKE WINKELMANN

Die SPD zieht mit der Bürgerversicherung in den Wahlkampf. Grundlage dafür wird der Bericht ihrer Arbeitsgruppe unter Leitung von Andrea Nahles. „Einstimmig“ habe sich gestern der Parteivorstand hinter deren Konzept gestellt, behauptete Parteichef Franz Müntefering – allerdings war Wirtschaftsminister Wolfgang Clement vor der Abstimmung „abgezischt“, wie es auf den Gängen des Willy-Brandt-Hauses hieß.

Jedenfalls aber ist die Entscheidung des Parteivorstands ein großer Erfolg für die Fans der Bürgerversicherung. Die hatten bis zum Schluss Mühe, das Kabinett und insbesondere Kanzler Gerhard Schröder für ein Riesenprojekt zu gewinnen, das Wirtschaft und Besserverdiener gegen die SPD aufbringen wird. Denn zwar hatte der SPD-Parteitag im November 2003 dafür gestimmt, doch die SPD-Führungskräfte gedachten, damit die Parteilinken im hintersten Kämmerlein zu beschäftigen.

Nun wird sich die Parteiprominenz zur Bürgerversicherung bekennen müssen, wie sie sich zu Hartz IV bekennt. Zu diesem Zweck wird Spagat geübt: Den Reichen wird gesagt, bis 2006 ändert sich sowieso nichts. Schließlich gehen die ohnehin davon aus, die CDU gewinnt die Bundestagswahl. „Die Entscheidung über die Bürgerversicherung steht in dieser Legislaturperiode nicht an“, erklärte Schröder gestern. Allen anderen wird gesagt, wenn sie die SPD wählen, kommt die Bürgerversicherung – die, wie Nahles erklärte, „für die übergroße Mehrzahl der Menschen eine Entlastung bedeutet“.

In den „Eckpunkten“ zur Bürgerversicherung ist nun vorgesehen, die Grenze zwischen gesetzlicher und privater Versicherung aufzuheben. Unter dem Stichwort „Wahlfreiheit“ sollen alle jetzt Pflichtversicherten in den Bürgerversicherungstarif einer Privatversicherung wechseln können. Privatversicherte sollen in die Bürgerversicherung einer gesetzlichen Kasse gehen können. Nur: In den Bürgerversicherungstarif, egal ob bei einer gesetzlichen oder privaten Kasse, müssen alle, die sich neu versichern. Er soll „der dominante Tarif werden“, erklärte Nahles.

Unter dem Stichwort „Solidarität“ sollen nicht mehr nur Löhne und Gehälter, sondern auch Kapitaleinkommen zur Finanzierung des Gesundheitssystems herangezogen werden. Hierzu gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder werden Kassenbeiträge in normaler Höhe auch von Zinsen und Dividenden abgezogen. Oder es wird eine Extrasteuer in Höhe von sieben Prozent auf Zinsen und Dividenden erhoben. Dies kann eine Abgeltungsteuer oder eine Kapitalertragsteuer sein. „Die Diskussion ist mit den Eckpunkten nicht beendet“, sagte Nahles gestern.

Das war etwas untertrieben. Denn schon vor Sonntag schlugen die Wellen hoch, als der Steuervorschlag durchsickerte. Quer durch alle Parteien, inklusive SPD, warnten die Wirtschaftsexperten vor Kapitalflucht. Eine Steuererhöhungsdebatte sei schädlich. Nur das Gegenmodell zur Bürgerversicherung, die von der CDU propagierte Kopfpauschale, bringe Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze.

Der Vordenker der Bürgerversicherung, der Kölner Gesundheitsökonom Karl Lauterbach, erinnerte jedoch gestern daran, dass auch das Gegenmodell zur Bürgerversicherung, die von der CDU propagierte Kopfpauschale, nicht ohne Steuererhöhung auskomme. Die Frage sei eben, welche Steuer man erhöhen wolle – und wen man damit treffe. Während jedoch für eine einheitliche Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge immerhin europaweit gekämpft werde, laufe das CDU-Kopfpauschalenmodell auf eine „finanzpolitisch abwegige“ Erhöhung der Mehrwertsteuer zu.

Der Bericht der 15-köpfigen Arbeitsgruppe, der der taz vorliegt, kalkuliert die verschiedenen Möglichkeiten durch, Beamte und Gutverdiener ins gesetzliche System zu holen und außerdem Kapitaleinkünfte zur Finanzierung heranzuziehen. Sie münden jeweils in eine Senkung der Kassenbeiträge von 1,8 Prozentpunkten – je nachdem, wie schnell man die Schrauben dreht. Die Option, wonach von Kapitaleinkünften Kassenbeiträge abgezogen würden, brächte zunächst sieben, dann zehn Milliarden Mehreinnahmen für die Krankenkassen.

Die „Steuerlösung“ dagegen brächte schon im ersten Jahr zehn Milliarden Euro Zusatzeinkünfte. Die Freibeträge sind so gerechnet, dass vor allem Selbstständige mit hohen Kapitaleinkünften belastet würden. Arbeitnehmerhaushalte profitierten, solange ihr Geld- und Wertpapiervermögen nicht über 260.000 Euro liegt.

Das Belastungskalkül ist auch das Wahlkampfkalkül: Die Menschen mit so viel Geld, die haben ohnehin selten SPD gewählt.