Wähler verlieren, Prozente gewinnen

Das paradoxe Siegesgeheimnis der CSU: Sie gewinnt noch höher, obwohl ihr die Wähler untreu werden

BERLIN taz ■ Der Sieg Edmund Stoibers ist ein gigantisches Ereignis: weil er die Wahl haushoch gewann, weil im Landtag zwei Drittel hinter ihm stehen, weil sogar junge Frauen zu ihm überlaufen. Das ist eine Sichtweise auf die Bayernwahl. Die andere ist die: Gewonnen haben im Südstaat die Nichtwähler, und Wählerwanderungen sind noch gar nicht messbar. Oder wie Manfred Güllner vom Meinungsforschungsinstitut Forsa sagt: „Die CSU hat in absoluten Zahlen stark an Wählern verloren, aber rein optisch einen fulminanten Wahlsieg errungen.“

Der Sieg der CSU erklärt sich mehr aus der Schwäche der SPD als aus eigener Stärke. Im Vergleich zur Bundestagswahl nämlich hat die CSU 1,2 Millionen Wähler verloren – netto. Selbst bei der Landtagswahl 1998, die weitaus zurückhaltender interpretiert worden war, gingen 120.000 CSU-Wähler mehr an die Urnen als am Sonntag.

Wie kann man bei derartigen Verlusten einen so überzeugenden Sieg nach Punkten erringen? Durch einen dramatischen Rückgang der Wahlbeteiligung: Im Vergleich zur letzten Landtagswahl sank die Bereitschaft zum „Kreuzerlmachen“ um 12,5 Prozentpunkte auf 57,3 Prozent.

Vor allem der Absentismus der SPD-Wähler hat die Wahl beeinflusst. Im Vergleich zur Bundestagswahl etwa verlor die SPD Wählerinnen und Wähler in der gleichen Größenordnung wie die viel größere CSU: 910.000 Menschen, die sich noch im vergangenen September zur SPD bekannten, sind einfach weggeblieben. Die SPD hat damit fast die Häfte ihrer Parteigänger eingebüßt. Das ist, ohne Frage, eine schwere Niederlage. Jede weiter gehende Interpretation, die sich etwa auf Bewegungen einzelner Wählergruppen bezieht, ist allerdings schwierig, solange keine absoluten Zahlen von Wählerwanderungen vorliegen. Alle Interpretationen beruhen derzeit auf Prozentwerten, die stets relativ sind.

Das bedeutet, dass der starke prozentuale Zugewinn bei den Frauen bis zu 24 Jahren (plus 15 Prozentpunkte) und denen über 25 Jahre (plus 22 Prozentpunkte) die Forscher noch nicht zu Motiverforschungen reizt. Die Mehrheit ist in beiden Wählerinnengruppen überdeutlich (jeweils 61 Prozent). Aber seriöse Forscher raten: Lasst uns auf die absoluten Zahlen warten, vorher kann man nichts sagen.

Auch bei den Prozenten sieht es bei der SPD allerdings schlimm aus. Unter Arbeitern verliert die SPD 14 Prozentpunkte (jetzt noch 22 Prozent) und bei den Arbeitslosen büßt sie gar die Hälfte ihrer Wähler ein. Selbst die gewerkschaftlich organisierten Wähler laufen der SPD davon – die CSU erringt mit 56 Prozent inzwischen auch hier die absolute Mehrheit. Solche Werte lassen sich nur noch mit medizinischen Vokabeln illustrieren: Es gibt in Bayern eine Abstoßungsreaktion gegen die SPD. Oder, so infratest dimap: 60 Prozent der bayerischen Bürger sind der Meinung, die SPD passe nicht zum Freistaat.

CHRISTIAN FÜLLER