„Merkels Mitte wird noch weggespült“

Der CDU-Frust über Angela Merkels Wirtschaftspolitik wäre bis Mitte 2008 verständlich gewesen – jetzt nicht mehr, sagt Parteienforscher Franz Walter. Die Kanzlerin werde sich mit ihrem moderaten Kurs bei zugespitzter Krise aber nicht durchsetzen

FRANZ WALTER, 53, ist Parteienforscher in Göttingen. Seit 1972 ist er SPD-Mitglied. Jüngstes Werk: „Im Herbst der Volksparteien?“

INTERVIEW ULRIKE WINKELMANN

taz: Herr Walter, kriegt die CDU jetzt kalte Füße wegen mieser Umfragen, oder warum fallen die alle über Angela Merkel her?

Franz Walter: Ich halte die kritischen Aussagen vom Wochenende für einen Pawlow’schen Reflex auf fallende Umfragewerte. Wenn drei Institute gleichzeitig messen, dass die Union auf 32 oder 33 Prozent fällt, dann wird man dort hektisch.

Ist es angemessen, Merkel an der Wirtschaftsfront anzugreifen, wenn doch weltweit keine Regierung kohärente Antworten auf die Krise findet?

Es hätte eine größere Berechtigung gehabt, Merkel bis zum Sommer 2008 anzugreifen. Da lief die Konjunktur gut, doch die Kanzlerin schien auf „Veränderung durch Schweigen“ zu setzen. Es war nicht erkennbar, was sie wollte. Jetzt ist es auch Blödsinn zu verlangen, sie solle die „christdemokratische Uniform“ anziehen. Damit führt man eine große Koalition eben auf keinen Fall. Merkels eigentliches Führungsversagen ist, dass sie niemanden an der CDU-Spitze hat, der neben ihr den Bedarf der Partei nach Zuspitzung befriedigt.

Unterliegt Merkel einer Fehleinschätzung des CDU-Stammwählers? Bleibt der am Ende eben doch auch zu Haus?

Es ist sicherlich ein Riesenproblem von Merkel, dass sie die CDU-Geschichte von 1945 bis 1989 nicht selbst erlebt hat. Dass man den Papst nicht mal eben so kritisiert, ist für jeden westfälischen oder rheinischen Katholiken unmittelbar ersichtlich. Merkel ist die erste CDU-Chefin, die man sich ebenso gut an der Spitze der FDP, der SPD oder gar der Grünen vorstellen könnte. Das schadet der Union. Gemerkt hat man das bei der Hessen-Wahl, wo zum ersten Mal ein Teil der Katholiken wegblieb.

Es sind doch nicht nur Katholiken Stammwähler.

Die Frage ist: Was ist der Stammwähler überhaupt? Die Union ist die Partei der Nichterwerbstätigen. Über 50 Prozent der CDU-Wähler leben von Transfers, über 40 Prozent sind über 60 Jahre alt. Die wollen Sicherheit. Daneben sind aber die selbstständigen und gewerblichen Bürger, die wollen Dynamik. Diese radikale Spaltung hat die Union früher noch aushalten können, jetzt wackelt das große christdemokratische Modell.

Aus CDU und CSU hagelt es Kritik an der Kanzlerin. Die CSU erregt sich über Merkels Kritik am Papst und ihre Nichtunterstützung für Vertriebenen-Chefin Steinbach. CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer kündigte an, die CSU werde sich demnächst „in solchen Fragen nicht mehr zurückhalten“. Am Wochenende hatte der baden-württembergische Landeschef Günther Oettinger erklärt, „es darf nicht der Eindruck entstehen, die CDU sei die Partei der Verstaatlichung“. Einzig Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer nahm Merkel am Montag offen in Schutz. „Es ist erkennbar, dass die gegenwärtige Kritik an der CDU und der Bundeskanzlerin ausschließlich aus Ländern kommt, die in einer anderen oder in gar keiner Koalition Politik gestalten können“, sagte er.

Ist es nicht schlau, die CDU nach links zu schieben, der FDP die Marktliberalen zuzutreiben und so das eigene Lager insgesamt zu stärken?

Doch. Das ist die Erkenntnis aus allen vergangenen Wahlen: Das schwarz-gelbe Lager muss breiter werden, nicht purer. Das bürgerliche Lager funktioniert nur, wenn es sich nicht rein bürgerlich gibt – Modell Rüttgers in Nordrhein-Westfalen. Nur überzeugt es einen Günther Oettinger in Baden-Württemberg nicht, weil sich dort auch kleine Leute als Mittelstand fühlen. Solche Mentalitätsunterschiede zu überbrücken, auch das wäre Merkel Führungsaufgabe gewesen. Sie schafft das nicht.

Manche SPDler hoffen, dass die Gesellschaft nach links rückt, wenn im Sommer die Arbeitslosenzahlen steigen. Wird das Merkels Kurs bestätigen?

Ich kenne keine Krise, aus der die Linke gestärkt hervorgegangen ist – und auch Merkels moderate Mitte dürfte davon weggespült werden. Profitieren werden die populistischen Ordnungspolitiker, die Protektionisten etwa. Das können aber Sozialdemokraten ebenso gut – die kennen ja am Ende auch keine Prinzipien.