Fratzen, die fließen

Als würden sich Beavis & Butthead neu erfinden, nachdem sie Adorno gelesen haben: Lucebert hat humorvollen Tiefgang. Die Bremer Kunsthalle widmet ihm die Ausstellung „Schöne Dämonen“

Nicht immer einfach, so ein Flirt. Das Mäntelchen fällt akkurat, die Wimperntusche sitzt, das Lächeln auch – und was macht er? Beißt die Zähne zusammen. Verdreht die Augen, bis sie vertikal im Schädel liegen. Lässt eine weißliche Substanz aus der Nase tropfen. Und wendet sich ab in Richtung rechter Bildrand, ohne Worte und ohne Titel. Ein peinlicher Moment aus Feder, Kohle und Kreide, festgehalten von dem holländischen Künstler Lucebert im Jahr 1981.

Zu sehen ist die Zeichnung ab sofort in der Bremer Kunsthalle, die Lucebert unter dem Titel „Schöne Dämonen“ eine umfangreiche Ausstellung widmet. Im Mittelpunkt steht dabei Luceberts grafisches Werk: Mit fast 170 Blätter verfügt die Kunsthalle über die deutschlandweit größte druckgrafische Sammlung des Künstlers, der 1994 mit 70 Jahren verstarb. Die Ausstellung präsentiert eine Auswahl der Grafiken, einige Zeichnungen und – zum Vergleich – einige Arbeiten von Corneille, Pierre Alechinsky und Karel Appel, allesamt Kollegen von Lucebert bei der avantgardistischen Künstlergruppe COBRA.

Zu der war Lucebert 1949 gestoßen, allerdings nur für eine einzige gemeinsame Ausstellung. Mit COBRA verband ihn das Interesse für schräge, fantastische Kreaturen, für einen Blick auf die Welt, wie ihn Naturvölker, Kinder oder auch psychisch Kranke in ihren Zeichnungen offenbaren. Neue Freiheit bedeutete das, nachdem Lucebert in den 1940er Jahren erst vor den deutschen Besatzern und danach vor der holländischen Armee fliehen musste – letztere wollte ihn zum Kämpfen nach Indonesien schicken. Nach dem Krieg lebte Lucebert dann für zwei Jahre auf der Straße und organisierte als 24-Jähriger 1948 seine erste Ausstellung in einem Amsterdamer Treffpunkt für Antialkoholiker. Erst 1958 folgte die erste Einzelausstellung, ein Jahr darauf die Teilnahme an der Kasseler Documenta II.

Die Bremer Schau zeigt Luceberts Arbeiten thematisch geordnet: Akt trifft auf Akt, Mensch-Tier-Kombinationen tummeln sich, Köpfe hängen beieinander, und in der Abteilung der literarischen Szenen zeigt Lucebert beispielsweise Gretchen, wie sie neben Faust sitzt und Zigaretten raucht. Wobei dies nur ein Aspekt von Luceberts Humor ist: Vor allem seine Porträts sehen aus wie Karikaturen, sind dabei aber so ausdrucksstark, dass sie locker ohne einen augenfälligen Bezug zu lebenden Personen auskommen. So verschroben, griesgrämig und deformiert diese Gesichter auch sein mögen, sie haben keine Kanten – Lucebert mag Fratzen, die fließen. Und dabei nicht nur spaßig, sondern auch eigenartig sympathisch wirken.

Vom Comic oder undergroundiger Sponti-Kunst unterscheiden sich Luceberts Bilder durch humorvollen Tiefgang – als würden sich Beavis & Butthead neu erfinden, nachdem sie Adorno gelesen haben. Apropos Lesen: Was die Ausstellung nicht zeigt, aber in einem Beiprogramm aufgreifen wird, ist die zweite, ebenso wichtige Seite Luceberts, seine schriftstellerischen Werke. Die beginnen mit Zeilen wie: „ob nun von adam oder abel / jeder kopf ist miserabel“. Klaus Irler

bis 16. November in der Kunsthalle