Ehebrechern könnte künftig Knast drohen

Türkische Regierung will Strafrecht reformieren. Opposition spricht von Versuch, die Scharia einzuführen

ISTANBUL taz ■ Im Vorfeld der letzten großen Reformgesetzgebung zur Anpassung an europäische Rechtsnormen ist es in der Türkei zu einer heftigen innenpolitischen Auseinandersetzung gekommen. Die oppositionelle CHP beschuldigt die regierende AKP und Ministerpräsident Tayyip Erdogan, sie wollten die bevorstehende Reform des Strafgesetzbuches dazu nutzen, islamisches Scharia-Recht in der Türkei einzuführen.

Stein des Anstoßes ist ein Vorschlag der AKP, Ehebruch zukünftig unter Strafe zu stellen. Justizminister Cemil Cicek bestätigte am Wochenende, dass die Regierung beabsichtigt, im Rahmen der Strafrechtsreform Ehebruch als Straftatbestand einzuführen. Man sei bereit, mit der Opposition zu reden, um einen Kompromiss zu finden. Käme es nicht dazu, werde die AKP ihre Parlamentsmehrheit dazu nutzen, ihren Vorschlag durchzusetzen. „Die Bevölkerung erwartet das von uns“, behauptete Cicek.

Der jetzige Streit ist der vorläufige Endpunkt einer jahrelangen Debatte über eine grundlegende Reform des türkischen Strafgesetzbuches. Obwohl das Strafgesetz mehrfach geändert und ergänzt wurde, stammt es von 1926. In der Neufassung, die jetzt am 14. September zur ersten Sitzung ins Parlament kommt, sollen nun endlich jahrelang kritisierte Einschränkungen der Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit abgeschafft werden. Das Strafmaß für Folter wird auf 12 Jahre erhöht.

Auch die von vielen Frauengruppen und anderen Menschenrechtsorganisationen kritisierte Strafmilderung bei so genannten „Ehrenmorden“ – dem Mord an weiblichen Familienmitgliedern, die angeblich die Ehre der Familie verletzt haben – soll nach der Reform der Vergangenheit angehören und bestraft werden wie jeder andere Mord auch. Ein weiterer Erfolg für die Frauenbewegung ist, dass künftig Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt werden soll.

Nachdem der Justizausschuss des Parlaments vor der Sommerpause seine Beratungen weitgehend abgeschlossen hatte, kündigten mehrere AKP-Abgeordnete jetzt an, sie würden im Parlament noch Zusatzanträge einbringen, die ganz offensichtlich im Sinne der konservativ-islamischen Basis der Partei sind. Ein Antrag ist, Ehebruch unter Strafe zu stellen. Außerdem will man die Diskriminierung des Kopftuches an den Unis abschaffen und die staatliche Aufsicht über Korankurse abschwächen.

Die AKP-Führung um Premier Erdogan und Außenminister Gül will das neue Strafgesetzbuch im Eiltempo durchs Parlament bringen, damit es noch vor dem entscheidenden Fortschrittsbericht der EU-Kommission am 6. Oktober in Kraft treten kann. Die türkische Daily News titelte am Sonntag, die AKP wolle mit dem Gesetz „zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“. Die Reform solle sowohl die EU als auch die eigene Basis zufrieden stellen.

Für die Opposition hat die AKP mit dem jetzigen Entwurf des neuen Strafgesetzbuches endgültig unter Beweis gestellt, dass sie die Annäherung an die EU nur dazu benutzen will, ihre islamische Agenda voranzutreiben. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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