Schöner siegen in Tschetschenien

Arithmetisch ausgewogen gewinnt Moskaus Kandidat Alu Alchanow die Präsidentenwahlen. Verbessern dürfte sich die Lage in der Kaukasusrepublik kaum. Alchanow lehnt Gespräche mit den Rebellen und dem legitimen Präsidenten Maschadow ab

AUS MOSKAUKLAUS-HELGE DONATH

„Alu Alchanow wird unser Präsident“, trällerten herausgeputzte, fröhliche Kinder. „Das wissen wir doch auch ohne unsere Eltern“, meinte die elfjährige Madina aus Grosny stolz. Tschetschenien, diesen Eindruck vermittelten Moskaus staatliche Medien, ist wieder ein paradiesischer Sonnenflecken, ein Hort kindlicher Unbeschwertheit.

Auch die Erwachsenen tanzten vor den Wahllokalen nach der Melodie eines ungetrübten Optimismus. Moskau hatte offensichtlich mit seinem Kandidaten Alu Alchanow genau den Richtigen ausgewählt und einen neuen Messias in die vom Krieg zerrüttete Republik geschickt.

Es war ein makabres Schauspiel, das Moskau am Wochenende auf der kaukasischen Bühne inszenierte. Madina sollte Recht behalten. Schon gegen 12 Uhr am Wahlsonntag stellte der tschetschenische Wahlleiter Abdul Kerim Arsachow fest: Mit 30 Prozent Beteiligung sei die Wahl gültig. Am Ende erwiesen sich die Tschetschenen wieder mal als die pflichtbewusstesten Bürger der Russischen Föderation. 79 Prozent nahmen am Urnengang teil, davon gaben rund 75 Prozent die Stimme Alu Alchanow, dem Ex-Innenminister der moskautreuen Regierung.

Grosny war unterdessen wie ausgestorben. Keine Menschenseele flanierte durch die Trümmerlandschaft der einstigen Perle unter den Städten im Kaukasus. Wer konnte, war vor dem Wahlsonntag mit aufs Land aufgebrochen – aus Angst vor einem neuen Überfall der Rebellen, die am Wochenende zuvor die Stadt stundenlang in Angst versetzt hatten. 120 Menschen sollen bei dem Angriff gestorben sein, berichtete die Iswestija.

Auch in den Dörfern kamen unabhängige Beobachter auf andere Ergebnisse als die offiziellen Zähler. In Mekenska im Naurski-Bezirk tauchte sechs Stunden nach Öffnung des Lokals ein einsamer Wähler auf. Einige Beschwerden über Verletzungen des Reglements gingen zwar bei der Wahlkommission ein, wurden aber nicht weiter verfolgt. Ein blutiger Vorfall ereignete sich in Grosny, wo sich ein junger Mann auf der Flucht vor Sicherheitskräften in die Luft sprengte. Im Wahlkampfstab Alchanows hatte man nur eine Sorge: „Was wir brauchen, ist ein großer Abstand zu den anderen Kandidaten, der Sieg soll schön sein“, meinte ein Mitarbeiter gegenüber der Iswestija.

Es wurde ein schöner Sieg. Der nächste Herausforderer, Mowsur Chamidow, kam weit abgeschlagen mit etwas über acht Prozent ins Ziel. Natürlich hatte sich kein Kandidat der Illusion eines Sieges hingegeben, es sollten einfach schöne Wahlen werden und dafür waren ein paar Zählkandidaten unverzichtbar.

Die arithmetische Ästhetik der Wahlfälschung folgte einer einfachen Regel. Alchanow durfte nicht mehr Stimmen erhalten als der ermordete Vorgänger. Den hatte der Kreml kürzlich als „größten Tschetschenen der Russischen Föderation“ heilig gesprochen. Überwältigendes Vertrauen der Bevölkerung musste das Resultat trotzdem belegen. Unter 80 Prozent, aber nicht weniger als 75 waren dafür erforderlich. Mit einer etwas geringeren Beteiligung als beim letzten Urnengang suggerierte Moskau zudem „Ausgewogenheit“: Noch hat Alchanow eben nicht das Format Kadyrows. Noch nicht.

Mit der Wahl ändert sich in Tschetschenien nichts. Wer sich Hoffnungen gemacht hatte, sieht sich wieder getäuscht. Im Vorfeld hatte der Generalmajor anklingen lassen, er schließe nicht aus, auch mit den Rebellen und dem vertriebenen legitimen Präsidenten, Aslan Maschadow, Gespräche aufzunehmen, wenn dieser sich zu seinen Fehlern bekenne. Darin liegt der Schlüssel zu einem Friedensprozess.

Kaum waren die Wahllokale geschlossen, lehnte Alchanow Kontakt mit den Separatisten ab und ernannte den alten zum neuen Vizepremier: Ramsan Kadyrow, den Sohn des ermordeten Präsidenten. Seine Todesschwadronen verbreiten raubend und mordend seit Jahren Terror in der Kaukasusrepublik.

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