Rettungsversuch für den Aralsee

In Kasachstan ist noch nichts davon zu sehen, dass der Verlust natürlicher Ressourcen gestoppt wird, wie es die UNO verlangt. Jetzt finanziert die Weltbank einen Deich

ALMATY taz ■ „Zu gefährlich“, warnt Alexander Sabelfeld. Als Chef der Abenteuer-Reiseagentur Asia Discovery ist er sonst gern bereit, jeden nur erdenklichen Trip in die Weiten Kasachstans zu organisieren. Doch in das größte Umweltkatastrophengebiet der Welt – jene Wüste, die früher „Aralsee“ hieß – will Sabelfeld seine Touristen nicht begleiten. Besonders seit die frühere Insel Wozrozhdenije keine Insel mehr ist, rät er zur Vorsicht.

Wozrozhdenije, das einst 200 Quadratkilometer große Eiland, diente dem Sowjetreich als Biowaffen-Versuchsgelände. Bei ihrem Abzug vergrub die Rote Armee Krankheitserreger – Milzbrand, Anthrax, Pest – schlicht in der Erde. Weil der Aralsee trockenfällt, ist Wozrozhdenije mittlerweile mit dem Festland verbunden. Und schon Mitte der 1990er-Jahre wurde ein Massensterben von Saiga-Antilopen dem Milzbrand-Erreger zugeschrieben.

Der Aralsee, einst fast so groß wie Bayern, ist seit 1966 auf knapp ein Viertel seiner früheren Größe geschrumpft. Der Grund liegt vor allem in der intensiven Wassernutzung für die Landwirtschaft. Davon, den „Verlust von Umweltressourcen“ umzukehren, wie es die UNO in ihren Millenniumzielen bis 2015 vorsieht, ist hier nichts zu bemerken. Im Gegenteil: Mancherorts liegt das frühere Ufer nun 150 Kilometer entfernt. Dort, wo einst der Fischreichtum den Menschen bescheidenen Wohlstand sicherte, hat sich giftiger Salzstaub breit gemacht. Der kommt von Düngemitteln, die aus den Baumwollfeldern Usbekistans und Kasachstans in den See gelangten. Wissenschaftler gehen davon aus, dass 150.000 Tonnen davon jährlich in die Luft geweht werden. Als Folge davon hat der US-amerikanische Humangenetiker Spencer Wells derart extreme Chemikalienbelastungen im Blut von Anwohnern nachgewiesen, dass selbst deren Kinder und Enkel mit einem hohen Krebsrisiko rechnen müssen. Seit Jahren nimmt die Zahl der Krebserkrankungen stark zu.

Um das UNO-Ziel vielleicht doch noch zu erreichen, finanziert die Weltbank nun ein 85 Millionen Dollar teures Dammprojekt, das helfen soll, den austrocknenden Aralsee wenigstens partiell wiederzubeleben. Zwar haben die Experten den größeren Teil des Binnenmeers aufgegeben. Mittels eines 13 Kilometer langen Deichs an der Mündung des Syr-Darja soll aber wenigstens der Kleine Aralsee gerettet werden – die nördliche der drei übrig gebliebenen Lachen, die sich Ende der 1980er-Jahre abgetrennt hatte. In einigen Jahren, so hoffen die Deichkonstrukteure, wird der Pegel des Kleinen Aralsees um vier Meter gestiegen sein, das Gewässer fast 600 Quadratkilometer verlorenen Terrains zurückgewonnen haben. Vor allem soll sich sein Salzgehalt mindestens halbieren, sodass die darnieder liegende Fischerei wieder Auftrieb gewinnt.

Ein Moskauer Forscherteam vom Schirschow-Institut für Ozeanologie allerdings glaubt noch nicht an Rettung. Die Zerstörung, heißt es, werde so lange voranschreiten, wie der Wasserverbrauch des Baumwollanbaus anhalte und die Anrainerstaaten sich weigerten, ein gemeinsames Konzept zu erarbeiten. In 15 Jahren – so die kritische Prognose – könnte der Aralsee ganz von der Landkarte verschwunden sein, wenn es kein gemeinsames Handeln gebe.

Tatsächlich gibt die Politik wenig Anlass zur Hoffnung. Werde Baumwolle nicht mehr angebaut, verteidigt Atadschan Chamrajew, Vizegesundheitsminister der usbekischen Regionalregierung, würde die Bevölkerung „nicht an Krebs sterben, sondern an Hunger“.

NICK REIMER