Komische Angst vor Kapitalflucht

Die Kritiker der Bürgerversicherung monieren die hohe Steuerbelastung für Reiche und fürchten Steuerflucht. Derzeit haben sie Recht, doch bald hat es keinen Sinn mehr, Kapitalgewinne im Ausland zu verstecken: Das Bankgeheimnis in Europa fällt

VON HANNES KOCH

Die Befürworter der Bürgerversicherung haben noch manches Problem zu lösen. Eines der größeren ergibt sich aus dem Plan, für die neue Versicherung künftig auch Abgaben auf Kapitalerträge zu erheben: Wie hoch sollen die Steuern für Wohlhabende ausfallen? Nach aktuellem Stand würde die Steuer an der oberen Grenze dessen liegen, was andere europäische Staaten ihren Bürgern abverlangen. Diese offene Flanke ist den Kritikern natürlich nicht entgangen: Die Kapitalflucht könne zunehmen, argwöhnt etwa Christine Scheel (Grüne). Finanzminister Hans Eichel (SPD) warnt vor einer „Steuererhöhungsdiskussion“.

Die Verfechter der Bürgerversicherung um Andrea Nahles (SPD) wollen Gewinne aus Zinsen, Dividenden und anderem Vermögen im Gegensatz zu heute in die Finanzierung der neuen Krankenversicherung einbeziehen – entweder durch zusätzliche Sozialbeiträge oder einen Aufschlag auf die Steuer.

Die Zinsen von Bankguthaben werden ab 1. Januar 2005 mit maximal 42 Prozent versteuert – in Anlehnung an den Spitzensatz der Einkommenssteuer. Hinzu kommt der Solidaritätszuschlag von gut zwei Prozent. Rechnet man dann noch die Bürgerversicherungssteuer von sieben Prozent hinzu – diese Größe steht im Nahles-Konzept – würde ein Spitzenverdiener 51 Prozent seiner Zinseinkünfte beim Finanzamt abgeben. Zum Vergleich: Andere Staaten wie die Schweiz (35 Prozent), Schweden (30), Finnland (29) und Frankreich (25) liegen weit darunter. Von Belgien, Spanien (je 15) und anderen Niedrigsteuerländern ganz abgesehen.

Wohlgemerkt: Die große Differenz käme nur zustande bei deutschen Staatsbürgern, die tatsächlich mit dem Spitzensatz eingestuft werden, also den Reichsten. Bei allen anderen wäre der Unterschied sehr viel geringer, sie würden oft annähernd auf einer Höhe liegen mit den Bürgern in den Nachbarländern. Bei Dividenden fällt der Abstand geringer aus: Dort würden die deutschen Finanzämter auch inklusive Bürgerversicherung nicht mehr als 30 Prozent einbehalten – eine Belastung ähnlich der in Schweden, Österreich, Dänemark und anderen Ländern.

In Zukunft fällt freilich auch bei den Zinsen die Motivation für Kapitalflucht nach und nach weg. Denn 22 Mitglieder der Europäischen Union werden ab 1. Juli 2005 die so genannte Zinsrichtlinie umsetzen. Wer Zinseinkünfte am Heimatfinanzamt vorbei ins Ausland verschiebt, hat dann keinen Vorteil mehr: Die Finanzämter der Nachbarstaaten müssen die Gewinne melden, worauf zu Hause kassiert wird. Nur Belgien, die Schweiz, Luxemburg und Österreich genießen bis 2011 eine Ausnahmeregelung. Diese Staaten dürfen ihr Bankgeheimnis wahren, erhöhen die Zinssteuer aber nach und nach auf 35 Prozent. Der Abstand zu Deutschland würde sich also verringern – und für die meisten Steuerbürger gar nicht mehr vorhanden sein. Außerdem wollen die Freunde der Bürgerversicherung nicht untätig bleiben. Ökonom Karl Lauterbach sagt, dass man die neue Abgabe „nicht einfach“ auf die heutige Steuer „draufschlagen“ wolle. Die Kapitalsteuer insgesamt müsse modifiziert werden. Was er meint: Irgendwann wird, wie Eichel bereits vorschlug, eine einheitliche Abgeltungssteuer für Kapitalerträge eingeführt, die etwa 30 Prozent betragen könnte. Abgeltungssteuer plus Bürgerversicherung würden sich zu einer verträglichen Belastung von unter 40 Prozent summieren, die europaweit konkurrenzfähig wäre.