Müdes Kasperltheater kalauert über Hartz IV
: Selig schläft der Schirmherr

Während Lafontaine das Volk erhitzt, schlummert Gysi ein

Während das Volk seinen Ärger über Hartz IV lautstark montags zum Ausdruck bringt, greift die Kunst zu poetischeren Waffen – wie dem politischen Drama. Nicht das Drama um die Spaltung der Proteste ist gemeint, sondern ein Kasperltheater, dargestellt von menschlichen Akteuren, das ein Berliner Ensemble anlässlich von Hartz IV zeigt. Die Handlung ist schnell erzählt: Ein Kasperl verliert nach 20 Jahren seinen Job am, klar, Kasperltheater, seine Gretel betrügt den Geschassten mit dem Räuber und schmeißt ihn raus.

Wulf Zietlow, ehemals Dramaturg in der DDR-Provinz und heute Leiter des kleinen Ensembles „Theater Nudelbrett“ aus Charlottenburg, schrieb das Stück schon vor zwanzig Jahren – ebenfalls in turbulenten Zeiten, als sich soziale Umwälzungen Bahn brachen. Damals erhoben emanzipierte Frauen in der BRD ihre Stimmen, was den Männern kalte Schauer über ihre behaarten Rücken jagte. Zietlow brachte das Stück in diesen Tagen auf keine Bühne. Heute sitzt die ein oder andere Frau in der Führungsetage, die Emanzipationswogen sind abgeebbt. Kurz, die Welt brach in eine neue Zeit auf, und Zietlow hatte es verpasst, sie darauf vorzubereiten. Gut, das hat vielleicht damit zu tun, dass sein Werk mit Emanzipation nichts zu tun hat.

Jedenfalls sollte Ähnliches diesmal nicht passieren. Auch Hartz IV wälzt um und diesmal offenbart Wulf Zietlow seine Sicht der Dinge. So benannte er sein Ensemble in „1. berlineR rezessionstheateR“ um, kramte das Stück aus der Schublade und gab ihm den hochliterarischen Titel „Ein Kein-Sommernachtstraum oder agenda kaspera nonsensis“. Da, Agenda! Ein Politikum.

Um den politischen Gehalt seines Werkes ausreichend zu dokumentieren, musste ein Aushängeschild von Format her. Ein Politiker natürlich, schließlich liegen Politik und Theater oft eng beieinander. Nun war CDU-Schauspielprofi Roland Koch wegen seiner politischen Gesinnung ungeeignet und Oskar Lafontaine vielleicht schon für die Leipziger Demo gebucht: Zietlow zog dem Oskar jedenfalls die charmante PDS-Wahlalternative Gregor Gysi vor. Dieser stand als Schirmherr auf den Flyern, die ein Ensemblemitglied am Montag der Vorwoche auf der Anti-Hartz-Demo der MLPD verteilt hatte. Gysi hatte das Stück gelesen, seinen Namen hergegeben und sich brav zur Premiere am Montag in der Himmelfahrtskirche im Wedding eingefunden. Während Bild-Kolumnist Lafontaine am selben Tag auf der Leipziger Demo das Volk erhitzte, platzierte sich Gysi gemütlich in der ersten Kirchenbank.

Das Kasperlspiel für Schauspieler begann und damit eine Tragödie. In witzlosen Szenen wollte Gretel ihren schlaffen Kasper ins Bett kriegen, wurde die Hexe irgendeine „Beraterin“ und die soziale Marktwirtschaft beerdigt. Hin und wieder fiel auch ein Wort zu Hartz. Bis dahin folgten die Augen des Schirmherren noch dem langweiligen Bühnengeschehen. Doch, wie gesagt, er hatte das Stück zuvor gelesen, die Ödnis wurde größer, schließlich schlossen sich Gysis Augen und er sank in seinem Stuhl zusammen. Er hat nichts verpasst. Über Hartz IV kann man sich richtig aufregen. Über einen zweieinhalbstündigen Etikettenschwindel nicht. STEFAN KLOTZ