DIE MUSLIME IN FRANKREICH SOLIDARISIEREN SICH MIT DER REPUBLIK
: Geiselnahme stärkt Demokraten

Bisweilen erweckt die muslimische Bevölkerung Frankreichs den Eindruck, das Land ideologisch verändern zu wollen. Sie wolle das religiöse Element stärken, die Trennung von Staat und Religion abschwächen und die Regeln der republikanischen Schule aufweichen. Dafür haben vor allem zwei Ereignisse gesorgt: die Bildung eines Muslimrates und die Auseinandersetzung um das Verbot von demonstrativen religiösen Symbolen an Schulen, besonders von Kopftüchern.

Der Muslimrat werde der Integration der Einwanderer dienen, behauptete sein Schöpfer, Ex-Innenminister Sarkozy. Doch verschaffte das neue Gremium eher den religiösen SprecherInnen der EinwanderInnen eine Tribüne. Wenige Monate später bot die Debatte über das „Kopftuchgesetz“ den religiösen IdeologInnen ein neues Forum. Sie nutzten es, um gegen eine angebliche Beschneidung ihrer Freiheit zu demonstrieren.

Der Paradigmenwandel in der Regierungssprache, in der eingewanderte Franzosen zu Muslimen wurden, und die massiven Auftritte von verschleierten Frauen und bärtigen Männern auf der Straße machten vergessen, dass die Religiösen eine zwar lautstarke, aber letztlich nicht repräsentative Minderheit sind. Die Mehrheit der zwischen fünf und sieben Millionen MuslimInnen in Frankreich praktiziert ihre Religion entweder überhaupt nicht oder sie betrachtet sie als Privatsache.

Das Geiseldrama im Irak hat diese schweigende Mehrheit zur Stellungnahme gezwungen. Plötzlich werden Stimmen laut, die sagen: „Ich bin glücklich, ein Muslim in Frankreich zu sein.“ Und: „Die Republik garantiert meine religiöse und politische Freiheit.“ Wie alle FranzösInnen zeigen die MuslimInnen angesichts der terroristischen Bedrohung ihre Zugehörigkeit zum Prinzip des Laizismus.

Dieser Klärungsprozess – so dramatisch seine Ursache ist – zeigt, dass die demokratischen Kräfte bei den französischen MuslimInnen die Mehrheit darstellen. Für die FundamentalistInnen bedeutet es, dass sie es mit ihrer verquasten Position – „ich bin für die Freiheit und daher für den Schleier“ – künftig schwerer haben. DOROTHEA HAHN