LAFONTAINES AUFTRITT IN LEIPZIG VERSÖHNT DIE FRUSTRIERTE RESTLINKE
: Deutsche Einheit der Beleidigten

War Oskar Lafontaines Auftritt auf der Leipziger Montagsdemonstration demagogisch? Mag sein. Nur: Darauf kommt es nicht an. Bemerkenswert ist vielmehr, dass eine Mehrheit der Teilnehmer seine Rede offenbar als legitimen Beitrag zur Montagsdemonstration akzeptiert hat und ihm applaudierte. Die Erniedrigten des Ostens und die größte beleidigte Leberwurst der westdeutschen Parteiengeschichte finden zueinander. Das ist neu.

Linke Empörung über Rot-Grün gibt es in Ost wie West seit Jahren. Mit dem Verzicht auf eine gewaltfreie Außenpolitik und dem Abschied vom Sozialstaat haben SPD und Grüne viele frühere Anhänger irritiert und einige davon dauerhaft entfremdet. Diese Lücke hatte die PDS schon vor Jahren richtig erkannt: Ihre Westausdehnung scheiterte trotzdem. Zu groß war die kulturelle Kluft zwischen den politisch an den linken Rand gedrängten Gewerkschaftlern, Pazifisten und Keynsianisten im Westen und den beim Zusammenbruch der DDR übrig gebliebenen Sozialisten im Osten.

Das könnte sich jetzt ändern: Unter dem Eindruck einer verschärften Reformpolitik und einer veröffentlichten Meinung, die eher noch mehr als weniger Veränderung fordert, scheinen im restlinken Milieu alte Gräben plötzlich nicht mehr unüberwindlich. Eine Zusammenarbeit zwischen einer Wahlalternative im Westen und einer wiedererstarkten PDS im Osten ist jetzt denkbar – das beweist die Reaktion auf Lafontaines Rede in Leipzig.

Ist der so arg kritisierte Auftritt von Lafontaine also eine gute Nachricht wenigstens für jene, die linken Druck auf SPD und Grünen wünschen? Nur auf den ersten Blick. Denn trotz des überraschend heftigen Protestes gegen Hartz IV – gut steht es um die linken Reformkritiker weder im Osten noch im Westen. Über die Artikulation von Empörung sind bisher weder die PDS noch die SPD-Grünen-Dissidenten im Westen hinausgekommen. Mit dem von der Bildzeitung angefeuerten Volkszorn über die Arbeitsmarktreform im Rücken, dem PDS-Apparat im Osten und der Medienpräsenz Lafontaines kann es vielleicht wirklich gelingen, Schröder und Fischer 2006 entscheidende Prozente abspenstig zu machen. Damit kann man eine Beleidigung rächen. Politik ist das noch nicht. ROBIN ALEXANDER