Im Unterholz

Linke Mythen nicht nur des Alltags entlarven: Testcard-Herausgeber Martin Büsser auf Lesetour im Norden

Auf dem Umschlag klettert Che Guevara durch den Dschungel. Die Szene spielt sich offensichtlich in einem geschlossenen Raum ab, dessen weiß getünchte Wände Blattwerk, Unterholz und Uniformen kontrastieren. Das Bild stammt aus dem Revolutionsmuseum in Havanna, Che ist eine Wachsfigur. Treffend illustriert solche Musealisierung das Thema der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Testcard, denn es geht um „Linke Mythen“ – und um deren Entlarvung, wo nötig.

Der zuweilen höchst problematische Umgang mit revolutionärer Historie – einen Schwerpunkt bildet die jüngere Popwerdung von RAF-Geschichte und –Ikonografie – findet da genauso Platz wie die Auseinandersetzung mit dem Wiener Aktionismus, eine Analyse der Amerika-Trilogie von „Hollywoods letztem Linken“, dem Regisseur Michael Cimino, oder ein Roundtable-Gespräch über die Geschichte, um nicht zu sagen: den Niedergang, linker Verlags- und Buchhandelsstrukturen.

Nun trägt die Testcard nach wie vor den Untertitel „Beiträge zur Popgeschichte“, und so dreht sich trotz großzügiger Auslegung besagter Vokabel ein guter Teil der Beiträge um musikalische Phänomene: zwischen den jüngst in den nationalen Kulturkanon eingemeindeten Ex-Kommunarden Ton Steine Scherben und der DDR-Musikszene, Reggae („Der Mythos von Reggae als schwarzer Kultur der Befreiung“) und Achtziger-Revival. Folgerichtig dürfte Mitherausgeber Martin Büsser das eine oder andere Hörbeispiel dabeihaben, wenn er jetzt im Rahmen einer kleinen Lesetour durch Norddeutschland die aktuelle Testcard vorstellt – in linken Traditionsbuchhandlungen oder selbst verwalteten Zentren, an Orten also, an denen die thematisierten Mythenbildungen gerne ihre tägliche Manifestation erfahren.

Im Editorial wird das komplexe – und traditionell von brisanten Missverständnissen geprägte – „Verhältnis von Popkultur und der Linken“ zur durchgängigen Fragestellung erklärt: „Wäre da nicht die unglaubliche Attraktivität von Pop in den ausgehenden Sechzigern gewesen, jene Zeit, zu der Jugendlichkeit und Rebellion zusammen gedacht wurden, hätte sich vielleicht auch alles ganz anders entwickelt“ – so manches Gitarrensolo wäre etwas unaufgeregter angehört, so manche Geste der Revolte nicht mit einer des sozialen Umsturzes verwechselt worden. Dass da am Ende nicht bloß pessimistisches Kulturindustrie-Bashing herausgekommen ist, sondern bei aller profunden Analyse und Kritik immer wieder die grundsätzliche Bereitschaft der Autoren aufscheint, Pop und seine Phänomene ernst zu nehmen, darf als erfreulicher Erfolg gewertet werden.

ALEXANDER DIEHL

Lesungen: heute, 21 Uhr, Schilleroper (Bei der Schilleroper 14), Hamburg; morgen, 20 Uhr, Buchladen „Andere Seiten“ (Brunnenstraße 15/16), Bremen; Sa, 27.9., 20 Uhr, Subrosa (Elisabethstraße 25), Kiel; Sonntag, 28.9., 19 Uhr, UJZ-Korn (Kornstraße 28-30), Hannover