herr tietz macht einen weiten einwurf
: FRITZ TIETZ über Sportgymnastik

Los jetzt, Mädchen gucken!

Fritz Tietz ist 44 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.

An einem Bratwurststand auf dem Hamburger Messegelände, als das mal – ist schon einige Jahre her – zentraler Austragungsort des Deutschen Turnfestes war. Neben mir wischten sich zwei nachwüchsige Turner den Senf aus dem Oberlippenflaum. „Los jetzt, Mädchen gucken“, sagte einer, und schon eilten sie gemeinsam in die Messehalle 6, wiesen mir so den Weg zu den deutschen Meisterschaften der Rhythmischen Sportgymnastinnen, die damals im Rahmen des Deutschen Turnfestes stattfanden.

Zwanzig Mark kostete der Eintritt auf eine der Tribünen rund um das gleißend ausgeleuchtete Turnmattenkarree, darauf man dann in zügiger Folge die überaus zierlichen und sehr jungen Gymnastinnen ihre Übungen mit Ball, Band, Reifen und Keulen absolvieren sehen konnte. Die Fertigkeiten, die die Mädchen dabei zeigten, waren von durchaus eindrucksvollem Reiz. Faszinierend, wie sie tänzerische Grazie mit gewaltigen Sprüngen und anderen, fast akrobatisch anmutenden Bewegungsabläufen verbanden, wobei sie ihren schmächtigen Körpern viel Kraft und eine nicht nur bei Orthopäden Sorgenrunzeln erzeugende Biegsamkeit abverlangten. Dazu kam dieses geradezu frappierend große Geschick im Umgang mit den vier Sportgeräten, die virtuos herumgeschwungen, in den Hallenhimmel hochgeschleudert oder sonstwie kunstvoll gehandhabt wurden, dass ich zwischenzeitlich einige der selbstverständlichsten physikalischen Gesetzmäßigkeiten außer Kraft gesetzt glaubte.

Nicht so nett anzuschauen fand ich hingegen jenes manierierte Gestelze, in dem die Sportlerinnen ihre Mattenauf- und abgänge gestalteten. Vor allem die der Jury vor Übungsbeginn entgegengebrachten Ehrerbietungen wirkten oft arg geziert und entlarvten die Sportlerinnen als die von ehrgeizigen Eltern und Trainern dressierten Püppchen, die Rhythmische Gymnastinnen wohl häufig auch sind. Schwer nachvollziehbar auch, warum die augenscheinlich mindestens zwölf und höchstens zwanzig Jahre jungen Mädchen ihre ausgemergelten Leiber mit nicht mehr als einem engst anliegenden Trikot bedeckten, das obenrum so tief und untenrum so hoch geschnitten war, dass es mir für sittsamere Zuschauer empfehlenswert schien, bei bestimmten Übungen den Blick besser abzuwenden.

Hier aber wandte niemand schamvoll den Blick. Sehr aufmerksam verfolgten gut 4.000 Augen die Anstrengungen der Sportlerinnen, ebenso viele Hände spendeten reichlich Applaus. Nur die beiden pickligen Jungs vom Bratwurststand hockten, überwiegend stumm, unweit des Ausgangs der hinter der Haupttribüne gelegenen Sportlerinnen-Umkleide, wo die durchweg adrett frisierten und apart geschminkten Athletinnen mit ihren plüschigen Maskottchen und gestrengen Trainerinnen samt deren letzten Ermahnungen auf ihren Wettkampfaufruf warteten und also für einen etwas längeren Augenblick ausgiebig und beinah hautnah zu besichtigen waren. Tatsächlich war dies der mit Abstand beste Platz in der Halle für das, was die beiden Jungs, wie zuvor angekündigt, seit nunmehr geraumer Zeit und mit unterdessen auch schon ziemlich roten Ohren taten: Mädchen gucken. Eine vielleicht etwas seltsame Beschäftigung, die man ihnen aber in ihrer pubertären Adoleszenz nachsichtig zubilligte. Nicht jedoch den paar Herren reifen und greisen Alters, die ebenfalls vereinzelt hier, gern aber auch auf den mattennahen Logenplätzen lauernd, recht unverhohlen nach den kaum verhüllten Mädchenkörpern gierten. Einer hatte sogar eine kleine Videokamera im Einsatz und zeigte keinerlei Scheu, diese zu eingehenderen Aufnahmen der vor ihm herumspreizenden Sportlerinnen zu benutzen.

Gestern begannen in Budapest die diesjährigen Weltmeisterschaften in Rhythmischer Sportgymnastik. Bis nächsten Sonntag andauernd, sind dies zugleich die Qualifizierungswettkämpfe für die Olympischen Spiele 2004 in Athen.