Horrortrip nach Hannover

Ein Fünfjähriger, der bei einem Attentat in Tunesien schwer verletzt wurde, fordert vom Reiseriesen TUI 100.000 Euro Schadensersatz. Sein Vater will mit dem Prozess „das Reisen sicherer machen“

aus Hannover Kai Schöneberg

Die Eltern des Klägers kamen gleich mit einem ganzen Trupp Bodyguards, die sich gestern im Saal 4 H 1 des Landgerichts Hannover mehr und minder unauffällig verteilten. Dabei hatten die Espers aus dem nordrhein-westfälischen Bergkamen die größte Gefahr ihres Lebens längst gemeistert: Am 11. April 2002 hatte die Familie bei einem Pauschalurlaub in Tunesien an einem Ausflug zur Synagoge La Ghriba auf der Halbinsel Djerba unternommen.

Als der damals dreijährige Sohn Adrian im Schlepptau seiner Eltern die Synagoge betrat, flog ein mit Flüssiggas gefüllter Tanklastwagen in die Luft. Bei dem Attentat, zu dem sich das Terrornetzwerk al-Qaida bekannte, starben nicht nur 22 Menschen. Es begann auch der Leidensweg von Adrian, dessen Haut zu 40 Prozent verbrannt wurde. Und der Kampf seines Vaters: „Die Gegenseite hätte es verdient gehabt, meinen Sohn zu sehen“, sagte Michael Espers gestern in Kameras und Mikrofone. Allerdings habe er seinen Sohn, der viele Operationen über sich ergehen lassen musste, nicht diesem „Spießrutenlauf“ aussetzen wollen.

Für die Espers geht es um viel Geld – und wohl auch darum, den Horrortrip von damals zu verarbeiten: Der Reiseriese TUI soll 100.000 Euro Schmerzensgeld sowie monatlich 800 Euro Rente an den kleinen Adrian zahlen. Zusätzlich zu den 250.000 Euro, die die Espers bereits aus einem Opferfonds der Bundesregierung und den 100.000 Euro, die sie vom tunesischen Hotelverband bekommen haben. „Wir können diese Auseinandersetzung emotional nur verlieren“, hatte TUI-Vorstand Volker Böttcher bereits gesagt. Kurz nach dem Attentat hatte Michael Espers nämlich den „Deutschen Opferschutzbund Djerba e.V.“ gegründet, dessen Geschäftsführer er heute ist. Es gibt eine Homepage, vor dem Gericht wurden Flyer mit Handy-Nummern verteilt, die beiden Anwälte betreiben extensiv Pressearbeit. Espers betont, er habe den Verein gegründet, weil damals weder TUI noch deutsche Botschaft geholfen hätten. „Niemals in meinem Leben habe ich mich so hilflos gefühlt“, sagt der gelernte Versicherungskaufmann. Mittlerweile hätten sich auch deutsche Opfer der Anschläge in Bali und New York angeschlossen, betont Espers, der als „Rechtsvertreter“ eine Zeit lang den Anwalt und früheren FDP-Bundesinnenminister Gerhart Baum gewonnen hatte.

„Unser Ziel ist es, das Reisen sicherer zu machen“, sagte Michael Espers gestern, um zu betonen, dass es doch nicht nur um Geld gehe. Auch mit dem Vorwurf der TUI, die Zukunft der Branche stehe auf dem Spiel, wenn sie für unvorhersehbare Ereignisse haftbar gemacht werden könne, ging der Vater professionell um: „Die Gurtpflicht war schließlich auch nicht das Ende der Automobilbranche.“

„Diese Art der Verarbeitung ist eher ungewöhnlich“, sagt Helmut K. Rüster vom Weißen Ring, der bundesweit größten Opferschutzvereinigung, vorsichtig zur taz. Die meisten Opfer zögen sich in die Anonymität zurück. Natürlich sei eine Klage das Recht eines Geschädigten. Natürlich habe es Kontakte zwischen dem Ring und Espers gegeben. Zu mehr sei es allerdings nie gekommen. Deshalb, so vermutet Rüster, hätten sich „in diesem Fall wohl zwei Interessen gefunden: die des Vaters und die der Anwälte, die sich in die Öffentlichkeit rücken wollen“.

„Wir haben die Reise nicht beim Auswärtigen Amt, sondern bei der TUI gebucht“, sagt Michael Espers im Gericht. Der TUI-Anwalt hatte gerade betont, der Konzern habe sich damals auf die Angaben aus Joschka Fischers Ministerium verlassen, das für Tunesien keine Terrorwarnungen herausgegeben hatte. Spätestens seit dem 11. September 2001 gehöre die Gefahr von Anschlägen leider zum „allgemeinen Lebensrisiko“. Das sieht die Vorsitzende der Zivilkammer, Britta Knüllig-Dingeldey, offensichtlich ähnlich. Eine Haftung komme nur in Betracht, wenn es damals „konkrete Anhaltspunkte“ für eine Gefahr gegeben hätte. Das Gericht will am 27. Oktober seine Entscheidung verkünden.