Immer auf dem Sprung: „Memories of Rain“ im Metropolis
: Szenen aus dem Untergrund

Erhobenen Hauptes trat der heutige Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela unmittelbar nach seiner Freilassung im Februar 1990 vor die Weltpresse. Später erinnert er sich: „Es waren die Realität und die Drohung des bewaffneten Kampfes, welche die Regierung an den Rand von Verhandlungen gebracht hatten. Ich fügte hinzu, wenn der Staat aufhöre, dem ANC Gewalt anzutun, werde auch der ANC Frieden halten.“

Gisela Albrecht und Angela Mai ist es gelungen, zwei der Protagonisten dieses bewaffneten Kampfes vor die Kamera zu bekommen. Über fast ein Jahrzehnt – von 1994 bis 2001 – haben sie Jenny Cargill und Kevin Qhobosheane mehrfach über ihren Untergrundkampf für MK („Speer der Nation“), den militanten Arm des ANC, berichten lassen. Herausgekommen ist ein keine Minute zu langer dreistündiger Dokumentarfilm, den das Metropolis in Anwesenheit der Filmemacherinnen zeigt.

Wie effektiv die Aktionen des MK waren, darüber wird man hier keine Auskunft erhalten. Längst ist bekannt, was schon damals, am Ende des Apartheidregimes viele wussten: Mandelas Worte waren reichlich vollmundig. Nicht die mehr schlecht als recht ausgerüsteten und massiven Repressionen ausgesetzten Militanten haben de Klerk an den Verhandlungstisch gezwungen, sondern der Druck aus dem Ausland und der anhaltende Widerstand im Innern, den der ANC kaum zu organisieren in der Lage war. Mai und Albrecht, selbst lange Zeit in der Solidaritätsarbeit für Südafrika tätig, waren klug genug, ihren Interviewpartnern keinen Rechenschaftsbericht über die Effektivität ihres Tuns abzuverlangen. Stattdessen geben sie ihnen Zeit für eine Reise zurück in die Monate ihrer Entscheidung. Vor dem Auge der Zuschauer lassen sie mit Fotos und Archivfilmen eine Situation wieder auferstehen, die Cargill und Qhobosheane „keine Wahl ließ“, wie die beiden einhellig sagen.

Kevin Qhobosheane verließ das Land als 16-Jähriger. 1977, ein Jahr nach dem blutig niedergeschlagenen Schüleraufstand von Soweto, die Gesetze der Illegalität verboten einen Abschied auch von den engsten Verwandten, kletterte er durch den Stacheldrahtzaun Richtung Swaziland. Als er 1983 zurückkehrt, ist er ein anderer, einer mit „Legende“, immer auf der Hut: Für gewöhnlich überlebte ein Illegaler in Südafrika keine sechs Monate. Jenny Cargill, die weiße Journalistin, gehört zu dieser Zeit erst zwei Jahre der Untergrundarmee an. Wie Qhobosheane wird sie Mitglied des Nachrichtendienstes, eine sechsmonatige Ausbildung in Ost-Berlin inklusive. Jahrelang war sie für die riskante Rekrutierung neuer Kämpfer zuständig.

Als Interviewpartner sind die beiden ein ausgesprochener Glücksfall. Mit unglaublicher Besonnenheit berichten sie auch von ihren Zweifeln, von den 80 Prozent ihrer Energie, die draufgingen, um interne Schwierigkeiten in der Organisation zu überwinden, von der ständigen Anspannung, die sie dazu brachte, stets in einem Pyjama zu Bett zu gehen, mit dem man zur Not auf die Straße fliehen könnte, oder von verunmöglichten Liebesgeschichten. Mit einem offensichtlich freundschaftlichen Verhältnis zu den beiden haben die Filmemacherinnen ihrem Glück auf die Sprünge geholfen. Gänzlich untouristische Bilder eines verregneten Südafrika setzen in der Erzählung über die „weiße Zeit der Dürre“ immer wieder Kontrapunkte.

Dies alles und ergänzende Interviews mit an die zwanzig weiteren MK-Kadern machen Memories of Rain zu einem einzigartigen Panoptikum der Motivationen, vor allem aber der kritischen Rückschau auf den Widerstand gegen die Apartheid. Was keine Wahrheitskommission an den Tag bringt, hier ist es zu sehen. Christiane Müller-Lobeck

Do, 4. + So, 12.9., jeweils 17 Uhr, Metropolis; im Anschluss Gespräch mit den Filmemacherinnen