Hannelore Schlaffer im Philosophischen Café des Literaturhauses
: Ewig währender Jugendwahn

„Im Himmel gibt es kein Alter. Alle werden gleich alt gemacht.“ So lautet eine von vielen verblüffenden Antworten aus einem Film, in dem Kinder über ihre Vorstellungen vom Jenseits befragt werden. Im Diesseits aber haben wir mit dem Alter zu tun, und in der Regel schwindet jene Gelassenheit der Kinder, je weiter es voranschreitet: Die unauflösliche Verbindung von Alter und Sterben, Alter und Tod, ist für die meisten beängstigend.

Seit jeher gibt es daher kulturelle Strategien, der Todesangst Einhalt zu gebieten. Mit dem Band „Das Alter. Ein Traum von Jugend“ hat Hannelore Schlaffer, jetzt zu Gast im Philosophischen Café des Literaturhauses, eine Art essayistische Kulturgeschichte des Alters verfasst. „Seit der Antike wird die Zeit des Alters als Wunschbild entworfen“, lautet eine Kernaussage des Buchs. Idealisierung ist das Zauberwort, welches sich Platon, Cicero oder Seneca zu Eigen machten. Das Alter als Zeit, in der die Früchte des Lebens reif zu genießen sind: all die Erfahrung, die Klugheit, von der die ganze Gesellschaft profitiere. Der alte Mensch per definitionem ein Philosoph, natürlich nur in bestimmten gesellschaftlichen Schichten.

Diese zelebrierte Erhabenheit ist eine geistige und nur durch Unterschlagung des widerborstigen Körpers zu haben. Doch der alternde Körper wird im offiziellen Diskurs vorrangig den Frauen zugerechnet – und angelastet: Nicht zufällig sind die meisten Stereotype würdevollen Alterns männlich besetzt.

Und heute? „Das Altsein ist Jungsein. Die Jugend ist das Leitbild, das Ideal sind die jungen Alten“, sagt Schlaffer. Die Propagierung des vitalen Seniors ist umfassend: Er ist geistig und körperlich fit, bildungs- und reisehungrig. Er hat das Berufsleben hinter sich und viel Freizeit. Es könnte, und soll, die glücklichste Zeit seines Lebens sein – wäre da nicht die blanke Tatsache der schon vergangenen Jahre. „Gerade in ihrem übertriebenen Lebenshunger verrät sich die Todesangst der Gesellschaft“, schreibt Schlaffer und macht deutlich, dass sich die Rede über das Alter zwar verändert, dass dies aber keineswegs zu einem offeneren Umgang mit dem Thema geführt hat. Essen als Gesundheitsprogramm, aber auch die Anti-Aging-Maßnahmen setzen bei den Jungen ein: Versprechungen eines langen, aktiven Lebens, das paradoxerweise das Alter überspringen will. „Die latente Todesangst“, so Schlaffer, „wird doch an die über 70-Jährigen delegiert. Mir fällt auf, dass sich private und öffentliche Rede über das Altern teilen. Nur im Privaten wird darüber gesprochen, wie es sein könnte, wenn man krank, gar pflegebedürftig wird und welche Ängste da sind. Es gibt auch kein aktuelles literarisches Beispiel, das diese Erfahrungen ausspricht.“ Abgesehen davon kämen die „alten Alten“ medial nur als demographische Katastrophe oder im Gestus christlichen Mitleids vor.

In zwei Kapiteln widmet sich die Autorin den Unterschieden zwischen Männern und Frauen: „Die Art, wie Männer sich das Alter ausmalten und wie Frauen es erlebten und erleben, hat wenig miteinander zu tun“, heißt es da. Der Verfall des schönen Scheins treffe Frauen nach wie vor härter und früher als Männer. Da ist wieder der Körper und die unterschiedliche Rolle, die er im Bild von Männlichkeit und Weiblichkeit einnimmt. Eine immer beliebtere männliche „Verjüngungstechnik“ ist die Zweit- oder Drittehe mit jüngeren Frauen. Ein Muster, das Frauen immer noch – und das ist symptomatisch – als Exotinnen ausweist: Frauen mit wesentlich jüngerem Freund werden allzu oft erwähnt und vorgezeigt, als dass ihr Status als selbstverständlich gälte. Hinzugefügt sei, dass die Etablierung dieses Verhältnisses viel zu kurz gegriffen wäre. Frauen, Männer, Alter, Erotik, Liebe: Da steht eine ganze Kultur des Begehrens zur Disposition. Carola Ebeling

Hannelore Schlaffer: „Das Alter – Ein Traum von Jugend“. Frankfurt/M. 2003, 112 S., 15 EuroLesung: Di, 7.9., 19 Uhr, Philosophisches Café im Literaturhaus, Schwanenwik 38