Bush stärkt seine Opposition

Vor der UN-Vollversammlung zeigte sich der US-Präsident stur. Doch angesichts sinkender Umfragewerte kündigt sich leise der Rückzug von der Präventivdoktrin an

WASHINGTON taz ■ Warum nur bleibt Bush so stur? Das fragten sich viele US-Amerikaner nach dem Auftritt des US-Präsidenten vor der UNO-Vollversammlung. Viele hatten von ihm eine ehrlichere und pragmatischere Haltung erwartet. Doch Bush sprach so, als ob die Situation im Irak rosig wäre – keine Fehlkalkulationen und Probleme. Irgendwie scheint die US-Regierung darauf zu hoffen, dass sich die Situation im Irak wie von Zauberhand verbessert.

Die Opposition reagierte entsprechend mit Kopfschütteln. Der Fraktionschef der Demokraten im Repräsentantenhaus, Tom Daschle, war „enttäuscht“. Präsidentschaftskandidat und Senator John Kerry warf Bush vor, keinen Zeitplan für die Besatzung zu nennen. Sein Kollege Joe Lieberman nannte die Rede „halbherzig“.

Die US-Regierung ahnt, dass sie ohnehin kaum substanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau im Irak selbst mit UNO-Resolution bekommen wird. Zudem sind Experten im Außenamt, die mit der Lage im Zweistromland vertraut sind, überzeugt, dass die Übergangsverwaltung mehr Zeit benötigt. In diesem wichtigsten Streitpunkt zwischen den USA und der UNO, wann und wie Bagdad seine Souveränität zurückerhalten soll, hätten die USA nüchtern betrachtet wahrscheinlich Recht, sagt James Steinberg vom Brookings Institute. Eine zu schnelle Übergabe der Regierungsmacht an die Iraker sei kontraproduktiv und könne ein gefährliches Vakuum erzeugen.

Kein Wunder, dass die französische Position in Washington wenig Anhänger findet, zumal der von den USA handverlesene irakische Regierungsrat mittlerweile die gleiche Meinung vertritt und der US-Regierung damit in den Rücken fällt. „Unverantwortlich“ nennen viele Kommentatoren daher die Vorschläge aus Paris. Die New York Times argumentiert, dass selbst eine Zweidrittelmehrheit der Iraker nach einer jüngsten Umfrage sich wünschen, dass die Besatzungsmächte wenigstens für ein Jahr im Land bleiben. „Es ist Zeit anzuerkennen, dass der Wiederaufbau des Irak zu wichtig ist, als dass er den Außenpolitik-Debattierklubs überlassen werden könnte“, schreibt Kommentator David Brooks.

Doch Bush hatte wahrscheinlich weniger die Welt und globale Geopolitik im Sinn als das heimische Publikum. Diesem wollte er sich als unnachgiebiger Kämpfer gegen den Terror präsentieren, als oberster Feldherr, der nicht wankt und weicht. Denn es ist Wahlkampf, drei Millionen Jobs sind seit 2001 verloren gegangen, die Demokraten schießen scharf, die Zufriedenheit mit dem Präsidenten ist auf den niedrigsten Stand seit seinem Amtsantritt gesunken, viele US-Amerikaner sind zunehmend nervös über den Marathon im Irak. Hatte ihnen Bush doch nur einen 3.000-Meter-Hürdenlauf versprochen.

Erstmals seit dem 11. September 2001 registriert man im Weißen Haus ratlos, dass Bush die US-Bevölkerung nicht mehr hinter sich zu scharen vermag. Entsetzt hörten seine Berater, dass der erst frisch ins Rennen um den Sessel im Oval Office gestartete Exgeneral Wesley Clark den Amtsinhaber in Umfragen überrundet hat. Da die US-Regierung innerhalb weniger Wochen Erfolge vorweisen muss, ist eine pragmatischere Haltung hinter den Kulissen, bei den Verhandlungen im UNO-Sicherheitsrat, wahrscheinlich. Die Frage ist nur, welchen Gesichtsverlust sie zu akzeptieren bereit ist.

Einen Rückzug will man unterdessen in der US-Hauptstadt bereits registriert haben. Bush erwähnte weder Nordkorea noch den Iran. Auf den Fluren des Pentagons flüstern Militärs Journalisten bereits ins Ohr, dass es einen zweiten Irak nicht geben wird. Die Doktrin vom Präventivkrieg – so scharf gegeißelt von UNO-Generalsekretär Kofi Annan – könnte somit still begraben werden. MICHAEL STRECK