nebensachen aus brandenburg (teil 2)
: Boom und Brache: Märkisch-Oderland

In Brandenburg wird am 19. September ein neuer Landtag gewählt. Die taz stellt bis zur Wahl die 14 Brandenburger Landkreise vor. Heute: Märkisch-Oderland.

MOL – „Meistens ohne Lappen“, witzeln manche Berliner über das Autokennzeichen Märkisch-Oderlands. Sie kennen den Landkreis, der sich von Berlin-Hellersdorf bis zur Oder erstreckt, meist nur als Transitstrecke zum Schnäppchenmarkt hinter der polnischen Grenze: Die B 158 nach Hohenwutzen ist die kürzeste, die B 1 nach Küstrin die schnellste Verbindung ins EU-Nachbarland.

Geprägt ist der Landkreis von dem für Brandenburg typischen Gefälle: Die Region am Berliner Stadtrand boomt, dahinter gehen langsam die Lichter aus – trotz der vielen Windräder, die sich auf märkischen Hügeln drehen. Eine Zahl: Während die Arbeitslosenquote in der Gemeinde Fredersdorf-Vogelsdorf im Westen des Landkreises bei gut 6 Prozent liegt, beträgt sie in Genschmar im Oderbruch, einst Gemüsekammer Berlins, rund 60 Prozent.

Hauptachse der Entwicklung ist die S 5 in Richtung Strausberg. Zwischen Hellersdorf und Strausberg, einst Sitz des DDR-Verteidigungsministeriums und noch heutige wichtiger Bundeswehrstandort, reiht sich eine Pendlergemeinde an die andere. Die Bevölkerung ist seit der Wende durch Zuzüge aus Berlin rapide gewachsen, neue Spielplätze und Sportanlagen zeugen von einem gewissen Wohlstand, die Arbeitslosenquote ist vergleichsweise gering. Aber auch die negativen Folgen des Wachstums sind längst unübersehbar: Wiesen und Wälder werden mit Eigenheimen und Einkaufszentren zugebaut, an den Bahnhöfen sind die verkehrspolitisch sinnvollen Abstellplätze für Autos und Fahrräder hoffnungslos überfüllt, neue Straßen – wie die Ende August eröffnete Ortsumgehung von Altlandsberg – zerschneiden eine bislang kaum berührte Kulturlandschaft.

Für die Umgehungsstraße hat der Inder Ravindra Gujjula, der erste dunkelhäutige Bürgermeister Deutschlands, jahrelang gekämpft, weil sie den historischen Stadtkern mit Marktplatz und Storchenturm entlastet. Zur Landtagswahl kandidiert Gujjala, der sich gegen rechts und Abschiebungen engagierte, für die SPD, allerdings nicht in seinem Heimatwahlkreis.

Die größeren Gewerbeansiedelungen befinden sich ebenfalls im Westen des Landkreises, in Autobahnnähe: etwa das Logistikzentrum in Seeberg, das Glaswerk in Neuenhagen oder das Zementwerk in Rüdersdorf. Letzteres sorgte zu DDR-Zeiten für millimeterdicke Staubschichten auf den Bäumen, seit der Modernisierung hat sich die Umweltbelastung deutlich reduziert.

Ansonsten setzt der Landkreis auf Tourismus. Gleich hinter dem „Speckgürtel“ locken abwechslungsreiche Landschaften: das Strausberger Wald- und Seengebiet, die Märkische Schweiz mit dem Bertolt-Brecht-Haus in Buckow, der waldreiche Oberbarnim, der bis an die Stadt Bad Freienwalde, das älteste Heilbad der Mark Brandenburg, heranreicht. Und das Oderbruch – eine Niederung, die sich mit bis zu 20 Kilometer Breite an der Oder entlangzieht. Seine Auen, Deiche und Fließe sind wert, in Ruhe durchwandert zu werden. Bekanntester Ort: Neuhardenberg, das sich mit seinem Schloss als Elitentagungsort profiliert, mit seinen Plänen für einen Billigflughafen aber scheitern dürfte.

Historisch interessant: An den Seelower Höhen fand im Frühjahr 1945 die letzte große Schlacht vor der Eroberung Berlins statt. Als die Höhen genommen waren, hatte die Rote Armee freie Bahn bis Berlin. Welche Opfer die Niederschlagung Nazi-Deutschlands kostete, lässt die Bilanz der Schlacht erahnen: Mehr als 40.000 sowjetische und polnische Soldaten ließen ihr Leben, auf deutscher Seite waren es an die 10.000. RICHARD ROTHER

Morgen: Landkreis Oder-Spree