Kündigung nichtig

AUS DORTMUND ANDREAS WYPUTTA

Im Blitzlicht der Fotografen, umringt von Fernsehkameras wirkt der Bäcker Benjamin Lassek glücklich: „Nach Berlin hätte ich mit so einem Urteil nicht gerechnet“, sagt der 26-Jährige.

Mit „Berlin“ meint der Angestellte der Großbäckerei Westermann in Bergkamen den Fall der 50-jährigen Kaiser’s-Kassiererin Barbara „Emmely“ E. Die fristlose Kündigung der Betriebsrätin sei rechtens, hatte das Landesarbeitsgericht Berlin jüngst geurteilt. Zwei Pfandbons, die ein Kunde im Laden verloren hatte, soll Barbara E. eingelöst haben. Der Wert: 48 und 82 Cents.

Wegen einer ähnlichen Bagatelle wurde auch Lassek, wie „Emmely“ ein Betriebsrat, schon im September zusammen mit seinem Kollegen Horst Dorkowski fristlos gefeuert. Zwei Brötchen, dazu zwei Teelöffel Brotaufstrich hätten die beiden gestohlen. Westermann-Prokurist Miodrag Zecevic will seine Mitarbeiter auf frischer Tat ertappt haben. Gestern aber entschieden gleich zwei Kammern des Dortmunder Arbeitsgerichts: Beide Kündigungen sind nichtig. Westermann muss die beiden Bäcker weiterbeschäftigen und den entgangenen Lohn, zusammen etwa 21.000 Euro, nachzahlen.

Denn die beiden Bäcker beteuern ihre Unschuld. Sie hätten den Aufstrich, einen „Hirtenfladenbelag“ aus Öl, Kräutern und Feta-Käse, nicht stehlen, sondern lediglich probieren wollen. Schließlich habe es in der Vergangenheit Beschwerden gehagelt, der Aufstrich sei „überwürzt“. Auf eigene Kosten hätten sie dazu Brötchen im betriebseigenen Backshop besorgt, musste selbst Westermann-Anwalt Rudolf Halstrick im Prozess einräumen.

Unbedingt loswerden wollte die Großbäckerei ihre beiden Bäcker offenbar trotzdem: Auch der Diebstahl einer noch so geringen Menge Aufstrich im Wert von wenigen Cent zerstöre das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Beschäftigten und rechtfertige eine fristlose Kündigung, argumentierte der Arbeitgeberanwalt. „Wo setzt man an? Bei 1 Cent, bei 1 Euro, 1.000 Euro oder mehr?“, fragt auch die Geschäftsleitung in einer an „Liebe Kundin“, „Lieber Kunde“ adressierten Stellungnahme.

Die Kündigung des Betriebsrats Lassek sei schon aus formalen Gründen nicht rechtskräftig, urteilte dagegen die Zweite Kammer des Dortmunder Arbeitsgerichts. Der Betriebsrat sei zur Kündigung seines Mitglieds Lassek nicht ordnungsgemäß gehört worden. Grundsätzlich müsse ein Bäcker seine Produkte aber probieren dürfen, befand der als konservativ geltende Richter Guido Mareck darüber hinaus.

Auch Lasseks Kollege Dorkowski darf bei Westermann weiterbacken, entschied die Siebte Kammer kurz darauf. Zwar könne der Diebstahl „geringfügiger Vermögensgegenstände des Arbeitgebers“ durchaus eine fristlose Kündigung rechtfertigen, meinte die Richterin Regine Westphal. Im konkreten Fall müsse allerdings die lange Beschäftigungsdauer berücksichtigt werden. Dorkowski arbeitet seit 24 Jahren für Westermann.

Dorkowski sei für Westermann sowieso nur ein Bauernopfer gewesen, glaubt Manfred Sträter von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Die Großbäckerei habe den unliebsamen Betriebsrat Lassek um jeden Preis loswerden wollen. „Bei Westermann hat das Mobben kritischer Betriebsräte Methode“, sagt der Gewerkschaftssekretär. „Das ist jetzt schon der vierte Fall.“ So würden befristete Verträge kritischer Betriebsräte ohne Angabe von Gründen oft nicht verlängert.