Das getunte Ich

Fernsehserien wie „I want a famous face“ spiegeln und befördern die Tendenz zur operativen Selbstverschönerung: Aufsägen und Absaugen

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Vielleicht hat Otto Schily ja doch Recht. Und das Passfoto als letztgültiger Identitätsbeweis ausgedient. Vielleicht aber ist in einer operativen Gesellschaft nicht nur das fotografische Abbild eines Gesichts, sondern mithin die menschliche Identität flüchtig geworden. Die spätpubertierende Jessica zum Beispiel sieht zwar immer noch nicht aus wie Jennifer Lopez. Aber eben auch nicht mehr wie die spätpubertierende Jessica. MTV hat ihr zu einem neuen Gesicht verholfen. Eine Technik, deren bis vor einiger Zeit nur die Geheimdienste mächtig waren. Zumal und gerade im Unterhaltungsfernsehen.

In der MTV-Show „I want a famous face“ aber will man keine Identitäten verschleiern, man will Identitäten imitieren. Zumindest jene fleischlichen Oberflächen, die von so vielen als berühmte Identität, ja als Identität des Berühmten an sich verstanden werden. Die Zwillinge Matt und Mike zumindest sind sich sicher, dass einzig ihre Pickel ihren Weg nach Hollywood vereitelt haben.

Das war in ihrem alten Leben. Im neuen hat sie MTV für 13.000 Dollar pro neuer Nase (und mit allem, was sonst noch dazugehört) in etwas verwandelt, was auf den Namen Brad Pitt hört. Und das, zugegeben, wenn schon nicht dem leibhaftigen Brad, so doch der ikonografischen Metapher Pitt ziemlich nahe kommt: Zwei All-American Boys, von denen man trotzdem nie und nirgends wieder etwas hören wird. Dank MTV hatten Matt und Mike ihre 30 Minuten Ruhm. Und damit – nicht nur nach Andy Warhol – bereits mehr, als die Allgemeinheit so abbekommt.

Während das MTV-Karaoke „Becoming“ das Zum-Star-Werden vor Jahresfrist noch als unschuldigen Maskenball inszeniert hat, der Teenies für einen Tag in zumeist warenförmige Lebenswelten von Pink, Britney und Co. entführte, liefert „I want a famous face“ einen Tabubruch, der wohl weniger das Fernsehen als das wahre Leben betrifft. Für Matt und Mike gibt es keine Rückkehr mehr hin zum alltäglich Realen. Den beiden Teenagern sind die Bedingungen einer Medienrealität von nun an unwiderruflich auf den noch jungen Leib geschrieben.

Bei RTL2 wiederum sind die Wünsche zur beinahe gleichen Sendezeit kleiner – die Sehnsüchte aber nicht minder groß. Die zehnteilige Reportagereihe „Schönheit um jeden Preis – Letzte Hoffnung: Skalpell“ bemüht sich um den Eindruck journalistischer Aufrichtigkeit. Und lässt alle mal zu Wort kommen: Operateure, glückliche wie unglückliche Operierte – und einen Finanzmakler, der sich auf Kreditvermittlung für kosmetische Eingriffe spezialisiert hat.

Bei dem fährt Vanessa R. im schwarzen Opel Tigra vor. Der Wagen ist schon getunt, nun sind die Brüste an der Reihe. Wobei es in diesem Fall ein wenig weniger sein soll. Bei monatlichen Kreditraten von 242 Euro, so weiß es der Kommentator, „wird sich die Rechtsanwaltsgehilfin künftig einschränken müssen“. Dabei will sie nicht wie Matt und Mike mit ihren von MTV finanzierten famous faces bis nach Hollywood, sondern „einfach auch mal ohne Sport-BH auskommen“. Einer der Gründe für jährlich mehr als 400.000 kosmetische Operationen in Deutschland. Einen weiteren dürfte bald die Pro7-Adaption der US-Show „The Swan“ liefern, in der sich 17 überzeugte „hässliche Entlein“ zum leuchtenden Schwan operieren lassen wollen.

Medien als Werbeträger für das operative Werkeln am Ich: So vermutet der Kommunikationswissenschaftler Hans-Bernd Brosius, Leiter des Forschungsprojekts „Metabotschaft Schönheit“ an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität: „Gerade durch die Alltäglichkeit solcher Sendungen suggeriert das Fernsehen, dass es längst keine Tabus mehr gibt, dass man den eigenen Körper aus einem Menü heraus zusammenstellen kann.“ Niemals zuvor, schreibt auch der Philosoph Giorgio Agamben in einem gerade im Merve Verlag erschienenen Bändchen, ist der menschliche Körper „von Werbeindustrie und Warenproduktion so maßgeblich neu erfunden worden“.

Und das Unterhaltungsfernsehen, in vielen Momenten Synthese aus beidem, inszeniert diese Umbauarbeiten mit den anachronistischen Gesten der Industriegesellschaft: Denn zumindest das haben „I want a famous face“ und „Schönheit um jeden Preis“ gemeinsam: Die Arbeit am Körper, all das Aufsägen und Absaugen, wird als körperliche Arbeit erfahrbar gemacht. Eine Riesensauerei unter Vollnarkose.