Castor und Kirmes

Stadland will sich kein Atommüll-Lager am AKW Unterweser auf die Wiesen setzen lassen. Die Bauern ließen deshalb gestern die Trecker rollen

von ARMIN SIMON

Die Kirmes geht vor. Nicht nur, weil der Marktplatz, auf dem sich jetzt die Trecker zum Konvoi formieren, dann von Schieß- und Wurstbuden belegt ist. Sondern weil zu Zeiten des alljährlichen Karussell-Spektakels im Landkreis Wesermarsch auch niemand für anderes Zeit hat. Auch dann nicht, wenn das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Salzgitter just während der Fest-Tage die atomrechtliche Genehmigung für die Castor-Halle erteilt, die Atomstromer E.ON am benachbarten AKW Unterweser auf die Wiese setzen will.

Seit gestern ist die Kirmes vorbei in Rodenkirchen zwischen Bremen und Nordenham. Und die Demo läuft. „Wir wollen hier kein atomares Zwischenlager“, ruft Landvolk-Chef Hinrich Brader ins Mikrofon, während im Hintergrund Arbeiter noch die letzten Festzelte abbrechen. Zwei Tage nach dem BfS-Bescheid rollen jetzt die Traktoren. „Wenn da was passieren sollte“, sagt Brader mit Blick auf die geplante Castor-Halle, in deren Luftschlitze noch nicht mal Filter eingebaut werden sollen, „dann ist es mit der Milch hier ganz vorbei.“

Das zählt. Einst stand in Rodenkirchen die größte Molkerei Deutschlands. Immer noch ist Milchwirtschaft die Hauptbranche. „Daran hängt unsere Existenz“, sagt Poncio Hoogendoorn und lässt seinen Trecker anspringen. 50 Kühe hat er im Stall, Atomkraft fand er lange gut. Bis er das Märchen von der sauberen Energie aus Uran nicht mehr glaubte. Knapp 20 seiner Kollegen sind mit ihren Schleppern und Traktoren gekommen, haben Atommüllfässer an die Gabel und Transparente an die Heuladewagen gebunden. „Ich hab keinen so großen“, entschuldigt Hoogendorn seine niedrige Pritsche, an der der Spruch nicht ganz so weit zu sehen ist. Arbeitshose, Stallschuhe, gefütterte Westen – um 16 Uhr muss die Demo fertig sein: Melkzeit.

Zwei Drittel der Bewohner in der Gemeidne Stadland, zu der Rodenkirchen gehört, haben sich bei einer Umfrage gegen das Zwischenlager ausgesprochen. Die SPD, auf Regierungslinie „pro Zwischenlager“ gebracht, bekam das bei der Kommunalwahl deutlich zu spüren: Seit Ende 2001 regiert hier eine schwarz-grün-gelbe Koalition.

Alle rechtlichen Möglichkeiten wolle man gegen das Atommüll-Lager prüfen, hat der Gemeinderat beschlossen und die Prozesskasse gefüllt: über 17.000 Euro allein für dieses Jahr – „da weiß man, was los ist“, sagt Oberkreisdirektor Jürgen Mumdey. Ob die Gemeinde es ernst meint, wird sich bald zeigen. Mumdey hält den Bebauungsplan, den diese für das Kraftwerksgelände aufgestellt hat, für einen „Verhinderungsplan“ – nach Baurecht nicht zulässig. Hebt Mumdey ihn auf und gibt der Kreistag dem Bauantrag von E.ON statt, müssen Gerichte entscheiden.

Stadland fühlt sich dafür gut gewappnet. Grund dafür ist ausgerechnet die Atomausstiegspolitik der früheren rot-grünen Landesregierung in Niedersachsen. Lange vor Trittins „Atomkonsens“ hat die den Ausstieg aus der Atomenergienutzung im Landesraumordnungsplan festgeschrieben. Für das Gelände des AKW Unterweser sieht der eine „nicht-nukleare Energieerzeugung“ vor – und danach habe man den Bebauungsplan entworfen, der „voll von Zukunftsplanungen“ sei, sagt CDU-Ratsvorsitzender und Rechtsanwalt Dietrich Hagen Hartwich: Ein modernes Gaskraftwerk mit Wärmenutzung, ein Technologiezentrum für erneuerbare Energien könnten entstehen, wenn 2012 das AKW vom Netz geht. Eine Halle, in der auf Jahrzehnte hochradioaktiver Strahlenmüll lagere, mache das unmöglich, meint Hartwich. Dem müssten auch Gerichte folgen: „Wir setzen nur die Landesplanung um.“