Ideale auf 51 Quadratmetern

Zsusza Stelczer malt, Iwan Josefovics komponiert: Die Künstler leben seit langem in Bremen – von ihrer Hoffnung

„Eigentlich sind wir Optimisten“, beteuern Iwan Josefovics und seine Frau Zsuzsa Stelczer. Die beiden sind verheiratet, stammen aus Ungarn, leben in Bremen. Und beide sind Künstler: Josefovics, Jahrgang 1942, hat Komposition studiert, Stelczer Malerei. Er schreibt Orchesterstücke – für die Schublade. Sie malt seit Jahren großformatige Acrylbilder. Für den Hausgebrauch.

Der weißhaarige Josefovics ist vor allem eines: perfektionistisch. Aber nur, wenn ihn etwas interessiert. Seine Haare seien so lang, weil er nicht die Zeit für einen Frisör hatte, entschuldigt er sich, als er am Café-Tisch Platz nimmt. Neue Projekte? Ja, er gebe derzeit Kurse für Musiktheorie an der Volkshochschule Bremen. Davor versuchte er sich als Klavierlehrer, bemühte sich aber zu wenig darum, neue Schüler zu bekommen. Ein Klezmer-Quintett hat er gegründet. Momentan liegt es auf Eis. Seine Zeit verschlingen die eigenen Kompositionen.

Josefovics holt Zigaretten aus dem zeitlos-karierten Jacket. „Das Materielle“, sinniert er mit großen und zugleich behäbigen Gesten, „spielte für mich immer eine nachrangige Rolle.“

Seine Kindheit hat er in Budapest verbrachte. Ohne Vater. Der überlebte den Holocaust nicht. Josefovis wurde von drei Frauen erzogen: Mutter, Tante, Großmutter. „Wie ein Thronfolger“ sei er aufgewachsen. Schon zieht er an einer neuen Zigarette. Der Rauch verschmilzt mit dem Mittagsdunst.

Nach dem Studium will der Komponist raus aus Ungarn. „Es war wie ein Gefängnis.“ 15 Anträge habe er gestellt. Alle abgelehnt. Also verlässt er Ungarn mit 28 Jahren bei einer Gruppenreise illegal – über Schweden kommt er nach Bremen. Die Hansestadt sei „etwas provinziell“, gibt er lächelnd zu: eine halbe Million Einwohner gegenüber zwei Millionen Budapestern. Zurück nach Ungarn kann er bis zum Mauerfall nicht. Seine Mutter sieht er nur noch zweimal. Selbst zur Beerdigung darf er nicht einreisen.

Seine Entscheidung, nach Bremen zu gehen, bereue er nicht, sagt Josefovics. Mittlerweile habe er die Stadt ins Herz geschlossen, Freunde gefunden. Ob sie das Ende seiner langen Reise durch Europa sei? Er lächelt.

In Tenever lebt das Ehepaar auf 51 Quadratmetern. Von Sozialhilfe. In Ungarn hätte Josefovics wahrscheinlich eine Anstellung als Musikprofessor. „Die Berufschancen wären besser gewesen.“ Zsuzsa Stelczer, seine Frau, würde ihre kleine Modeboutique am Balaton weiterführen und in ihrer Freizeit malen. Sie ist Katholikin. Die Ehe mit einem Juden sei aber kein Problem, beteuert sie. „Obwohl wir kein koscheres Fleisch essen, das ist zu teuer“, sagt sie schüchtern.

Josefovics ist 61, Stelczer neun Jahre jünger. „Der Geruch von Farbe hat mich schon immer fasziniert“. Sie strahlt und zupft doch unsicher an ihrem Halstuch. Der Onkel war ein bekannter Künstler, bei dem sie immer ihre Sommerferien verbrachte. Heute malt sie in Acryl, ihr Atelier ist die winzige Küche. Oft meterhoch sind ihre Gemälde. Schnell holt sie aus ihrer Handtasche ein Fotoalbum, zeigt die Arbeiten, auf die sie besonders stolz ist: abstrakte Formen, kräftige Farben. Doch für ihre zweite Ausstellung in Bremen zeichnete sie figürlich. Die Zimmer Galerie Kattenturm zeigte die Bilder „Mondtöchter“ im September. „Das hat mir sehr viel bedeutet“, sagt sie mit glänzenden Augen. Zur Eröffnung hatte ihr MannKlavier gespielt.

Träume haben die beiden viele: Josefovics „möchte gern berufliche Anerkennung erreichen“. Und wünscht sich „ein finanzielles Niveau, auf dem man sorgenfrei leben kann“. Stelczer würde gern nur noch malen. Und eine Skulptur zu entwerfen, riesig groß, das wäre ihr größter Wunsch. „Ein Blumenstrauß. Mit Springbrunnen. Und Glas“, sagt sie. Während dieser Worte spricht ihr Mann leise mit.

Jan Grundmann