Der Ehrgeizige und der Gutherzige

Auch ohne Asien-Pazifik-Woche ist Indien in Berlin präsent: Sandeep S. Jolly leitet eine Firmengruppe, Puthuveetil Balam hat einen kleinen Laden

von RICHARD ROTHER

Es war ein Schlüsselerlebnis: 1982 wechselt Sandeep S. Jolly, Sohn eines indischen Diplomaten, an eine Westberliner Schule. An seinem ersten Schultag in der 9. Klasse steht eine Mathearbeit auf dem Programm. Schon nach zehn Minuten ist der indische Jugendliche, der zuvor auf einer Privatschule gelernt hatte, mit der Klausur über die binomischen Formeln fertig. Als der Lehrer das geschlossene Heft seines neuen Schülers sieht, will er ihn trösten, die Aufgaben erklären. Die längst gelösten Gleichungen sind ihm ein Rätsel: „Wo hast du denn abgeschrieben?“

Dieses erste Missverständnis zwischen Schüler und Lehrer, das sich bald in Respekt auflöst, spricht Bände: hier der ehrgeizige, bildungshungrige und doch bescheidene Nichtdeutsche; dort die Verblüffung genau darüber. „Für uns ist Bildung etwas ganz Zentrales“, sagt der 36-Jährige, der mittlerweile eingebürgert ist. In Asien gebe es keine sozialen Netze wie in Europa, „wir werden ganz anders erzogen“. Bildung und Eigeninitiative sind Voraussetzung, das Überleben zu sichern, den – oft bescheidenen – Wohlstand zu mehren. Und: „Man muss auf mehreren Beinen stehen.“

Jolly stellt sein jugendliches Leben auf mehrere Beine – durch „harte Arbeit“. Nach der Schule jobbt er in einem indischen Restaurant, knüpft erste Geschäftskontakte. „Ich hatte Arbeit, aber ich wollte mehr können.“ Er studiert Informatik, gründet ein Unternehmen, das Software für Ärzte entwickelte.

Heute steht der Vater zweier Töchter, der der Religionsgemeinschaft der Sikhs angehört und der in der Öffentlichkeit immer einen Turban trägt, wirtschaftlich auf mehreren Beinen. Er ist Kopf einer kleinen Firmengruppe, die sich in mehreren Branchen tummelt: die Fröhlich Bistro GmbH betreibt ein Restaurant und Catering; die it-india GmbH vermittelt Kontakte zwischen Deutschland und Indien; die teta Leasing- und Kommunikationssysteme GmbH hilft Unternehmen, ihre Kommunikationswege – sei es die Telefonie oder das Computernetz – effizienter zu gestalten. Ausführung und Kundenbetreuung gehören ebenfalls dazu.

Jolly sieht sich als Geschäftsmann – und als Mittler zwischen den Kulturen in Deutschland und Indien. Beide Seiten hätten oft falsche Vorstellungen voneinander, sagt Jolly, der in seinem Büro im Charlottenburger IHK-Hauptgebäude, direkt neben der Berliner Börse, sitzt. Das it-india-Büro ist funktional eingerichtet, nichts erinnert an Indien – kein Bollywood-Poster an der Wand, kein indisches Geschirr. Komme ein indischer Software-Spezialist nach Deutschland, finde er sich schon im Alltag – etwa als Vegetarier – kaum zurecht, so Jolly. „Fahren Sie mal nach Indien und versuchen, Eisbein oder Bratkartoffeln zu essen.“ Jollys dunkle Augen lachen.

Falsch seien auch die Vorstellungen deutscher Firmen, die in Indien investieren wollten. „Ein Inder sagt nie Nein.“ Auch wenn ein Projekt unrealistisch sei. Man müsse die andere Seite verstehen, um die Vorteile zu genießen. Software könne in Indien entweder sehr schnell oder günstig entwickelt werden. Aber Jolly räumt mit einem Unternehmervorurteil auf: „Billig und superschnell, das geht auch in Indien nicht.“

Im Alltag machen Jolly allerdings andere deutsche Vorurteile zu schaffen. Will er seinen Pass verlängern lassen, braucht er eine Bestätigung der indischen Botschaft, dass er ständig einen Turban trage. Fährt er U-Bahn, reden die Leute über ihn, im besten Fall verwundert. Jollys Konsequenz: Die U-Bahn nutzt er sehr selten, und nachts vermeidet er gewisse Gebiete. „Ich nehme lieber solche Einschränkungen hin, als mich in Gefahr zu begeben“, sagt Jolly. Es klingt nicht wütend, nicht resigniert, eher abgeklärt. „Das Leben geht weiter.“

Der ehrgeizige Mann will schließlich noch viel erreichen: dass seine Firmen wachsen, es seiner Familie gut geht und die Kinder, die mit Deutsch, Englisch und Hindi dreisprachig aufwachsen, etwas lernen. Denn: „Von nichts kommt nichts.“