Rätsel um Tod der kleinen Lara

Ein neun Monate altes Baby starb stark abgemagert. Noch ist unklar, ob Krankheit oder Vernachlässigung zum Tod führten. Die 18-jährige Mutter wurde von einer Sozialarbeiterin betreut

VON KAIJA KUTTER

Mit Anspannung wurde gestern das Obduktionsergebnis der Leiche der neun Monate alten Lara erwartet. Das Kind war am Mittwochmorgen in der Wohnung der 18-jährigen Mutter in Wilhelmsburg gestorben. Die junge Frau und ihr drei Jahre älterer Freund waren am Abend wegen Verdachts des Tötungsdelikts durch Unterlassung festgenommen worden, kamen aber nach der Obduktion auf freien Fuß.

„Bei dem Kind lag eine Mangelernährung vor“, sagt Staatsanwaltssprecher Wilhelm Möllers. „Das Körperfett war nahezu aufgezehrt.“ Die Obduktion habe aber noch nicht die Ursache für diese Abmagerung ermittelt. Jetzt sollen weitere „feingewebliche Untersuchungen“ klären, ob das Kind durch Vernachlässigung oder durch eine Krankheit starb. Deshalb gab es keinen Haftbefehl. Möllers: „Das ist die Einschätzung heute. Das kann sich nach den weiteren Untersuchungen noch ändern.“

Die Eltern bestreiten die Vernachlässigung. Dagegen spricht laut Obduktion auch, dass der Pflegezustand des Kindes gut war. Möllers: „Es war sauber, hatte geschnittene Fingernägel und keinen Pilzbefall.“ Auch seien in der Wohnung Babynahrungsmittel und Windeln gewesen.

Der Fall ist also etwas anders gelagert als der der siebenjährigen Jessica, die von ihren Eltern versteckt wurde und 2005 einen grausamen Hungertod starb. Lara und ihre bei der Geburt noch minderjährige Mutter waren dem Jugendamt bekannt. Schon einen Monat, bevor das Baby zur Welt kam, hatte das Amt eine „Sozialpädagogische Familienhilfe“ bewilligt. Zunächst für zehn Stunden, ab September dann für fünf Stunden in der Woche, stand der kleinen Familie eine Sozialpädagogin des Trägers Rauhes Haus zur Seite.

Diese besuchte sie zuletzt am 3. März. „Da hat das Kind gelacht und gegessen. Es gab keine besonderen Verhaltensauffälligkeiten“, berichtet Mitte-Bezirksamtschef Markus Schreiber, der mit der Betreuerin telefonierte. Weil diese im Urlaub war, sollte statt ihrer am gestrigen Donnerstag eine Vertretung Lara besuchen. Doch es kam anders. Die junge Mutter stand mit der Sozialpädagogin per Handy im Kontakt. Nach dem Tod ihres Kindes erhielt die Betreuerin eine SMS.

Die SPD-Jugendpolitikerin Carola Veit kündigte gestern eine Sondersitzung des Jugendausschusses an. „Wir möchten wissen, warum hier keine Familienhebamme war.“ Außerdem will Veit in einer kleinen Anfrage erfahren, warum das Kind vom 3. bis zum 11. März acht Tage nicht gesehen wurde und warum die Betreuung auf fünf Stunden reduziert wurde. Denkbar wäre, dass es hier um eine Sparvorgabe geht. Hatte doch Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) im Januar angekündigt, die Ausgaben der Erziehungshilfen auf das Niveau von 2007 senken zu wollen.

Doch auch Wersich ging in die Offensive und forderte einen Rapport des Bezirksamtsleiters. Den werde er von den Experten seiner Behörde auswerten lassen und „gegebenenfalls Konsequenzen veranlassen“.

Markus Schreiber verneint, dass die Absenkung der Betreuung aus Spargründen erfolgt sei. „Zehn Stunden sind eine Menge. Wir hatten die Einschätzung, dass alles in Ordnung ist.“

„Es gab eine positive Prognose. Ansonsten hätte man das nicht abgesenkt“, ergänzt sein Sprecher Andreas Lange. Ziel der Betreuung sei gewesen, der Mutter zur Selbständigkeit zu verhelfen.

Dafür plante die Sozialarbeiterin zum Beispiel, die junge Familie nach den Ferien in eine Mutter-Kind-Gruppe einzubinden. Die Betreuerin brach ihren Urlaub ab und wird heute im Bezirksamt erwartet. Lange: „Wir haben ein paar Fragen.“

Alle Beteiligten von Opposition bis Senator zeigten Betroffenheit. „Es ist schlimmer als bei Jessica, von der ja keiner wusste“, sagt Schreiber. „Hier starb ein Kind vor unseren Augen.“ Das Rauhe Haus erklärte, man sei um Kontakt zur Mutter bemüht, „um sie in ihrer verzweifelten Lebenssituation zu betreuen“.