Lektion zum Verhältnis Politik und Medien

Die Kelly-Untersuchung von Lordrichter Hutton ist zu Ende. BBC kündigt Reformen an, die Regierung bleibt stur

BERLIN taz ■ 23 Tage hat Lordrichter Brian Hutton Zeugen vernommen, Beweise gesichtet, Plädoyers gehört. Gestern endete seine Untersuchung der Umstände, die zum Tod des Waffenexperten David Kelly geführt haben. Lord Hutton wird nun seinen offiziellen Bericht für die Regierung Ihrer Königlichen Majestät schreiben – und zu entscheiden haben, wer die Hauptlast der Verantwortung zu übernehmen hat: die BBC oder die Regierung selbst.

Noch nie ist seit Watergate das Verhältnis zwischen politischer Macht und der Macht der Medien derart schonungslos offen gelegt worden. David Kelly, einst selbst UN-Waffeninspektor im Irak und später dann Mitarbeiter des britischen Verteidigungsministeriums, war im Juli als Quelle des BBC-Reporters Andrew Gilligan enttarnt worden. Gilligan hatte in einer BBC-Radio-Sendung Ende Mai behauptet, dass die Regierung Geheimdienstinformationen über die Einsatzbereitschaft irakischer Massenvernichtungswaffen zugespitzt habe. In einem Artikel für die konservative Daily Mail hatte er darüber hinaus Blairs Kommunikationschef Alasdair Campbell für diese Manipulation verantwortlich gemacht. Wenige Tage nach Bekanntwerden seines Namens durch offenbar gezielte Hinweise des Verteidigungsministeriums gegenüber Journalisten und einem entwürdigenden Verhör durch den Auslandsausschuss des britischen Parlaments nahm sich Kelly das Leben.

Schlagabtausch

Bei den gestrigen Schlussplädoyers, die bei Redaktionsschluss dieser Seite noch andauerten, ließ Tony Blairs Administration über ihren Anwalt Jonathan Sumption nochmals keinen Zweifel daran, wen die Schuld treffe: den Reporter Andrew Gilligan und damit die BBC. Dort habe man nie begriffen, wie ernst Gilligans Behauptungen waren, so Sumption. Über Monate sei man davon ausgegangen, dass es sich um den „üblichen schmutzigen politischen Schlagabtausch“ handele, „die Hunde bellen und die Karawane weiterziehen würde“. Sumption warf der BBC vor, Gilligan weiterhin zu decken – trotz offensichtlicher Ungereimtheiten in den Aufzeichnungen über seine Gespräche mit David Kelly und widersprüchlicher Angaben anderer BBC-Mitarbeiter, die zu Kelly Kontakt hatten. Zudem hätten Gilligan bzw. die BBC ihre fehlerhafte Darstellung wider besseres Wissen später nicht ausreichend korrigiert.

„Doppeltes Spiel“

Auf diese tatsächlich bestehenden Unklarheiten verwies auch der Anwalt der Familie Kelly. Allerdings habe die BBC im Verlauf der Ermittlungen diverse Fehlentscheidungen zugegeben. Die Regierung halte dagegen bis heute an ihrem doppelten Spiel fest, so Jeremy Gompertz, der vor allem Verteidigungsminister Geoff Hoon „zynischen Machtmissbrauch“ vorwarf.

Auch wenn die Aufgabe von Lordrichter Hutton offiziell darauf beschränkt war, die Umstände des Todes von David Kelly zu klären, hat seine Untersuchung die Bedeutung unabhängiger Medien als Kontrollinstanz der Politik deutlich gestärkt. Daran ändert auch die berechtigte Kritik an diversen Pannen, persönlichen Eitelkeiten und Selbstüberschätzung bei der BBC nichts.

Zumal die öffentlich-rechtliche Anstalt bereits angekündigt hat, mit „radikalen Veränderungen“ auf ihre Fehler in der Kelly-Affäre zu reagieren. Bei der auf Machterhalt fixierten Blair-Regierung muss man hier skeptischer sein. STEFFEN GRIMBERG