Jukebox

Pilzkopf, Bienenkorb, Brikett: Haar spricht Pop

Die Geschichte der Popmusik ist auch eine Geschichte der Haarmoden. In der Frühzeit, als man zu Pop noch gar nicht Pop sagte, sogar sozusagen direkt an der Produktionsstätte spielend, im Friseurladen, in dem man sich die Wartezeit mit Singen vertrieb. So entstand die Barbershop-Musik. Und die strenge Brikettfrisur von Grace Jones – sie singt am Dienstag im Tempodrom – bezeichnete in den Achtzigern durchaus einen Paradigmenwechsel. Ein Schalter wurde umgelegt, man wird vielleicht sehen.

Erst einmal aber mussten die Haare wachsen. Zumindest bis zum Kragen hin, und vorn hart an die Augen, was so den Pilzkopf der Beatles ergibt, eine emblematische Popfrisur. Wie wichtig die war, sieht man zum Beispiel auf dem gezeichneten „Revolver“-Cover, auf dem das Leben der Beatles in ihren Haaren verwoben ist. Was heute aber nur noch harmlos hübsch ausschaut, war damals wirkliche Grenzüberschreitung, schließlich musste wenigstens für Männer als gesellschaftliche Norm gelten, von einem Tag auf den nächsten in die Armee einrücken zu können, ohne erst beim Friseur gewesen zu sein. Höhe- und Endpunkt dieser Entgrenzung: die Beschwörung des Hippietraums 1968 in einem Musical, das nicht ohne Grund „Hair“ heißt. Jetzt war Rock der Pop, ein Jahrzehnt ließ man seine Haare einfach wachsen, David Crosby sang „Almost cut my hair“, und machte es doch nicht, weil: „I feel like letting my freak flag fly“. Noch hieß es, die Fahne hochzuhalten. Erst Punk schnitt alte Zöpfe ab. Weil sie dabei selbst Hand anlegten, sah das bei ihnen so struppelig aus. Aber das eigentliche Pop-Ding war nun sowieso Disco, der Club mit seiner körperorientierten Musik, die so straff und durchtrainiert sein sollte wie jetzt auch der Körper selbst. Das hart konturierte Resthaar von Grace Jones verweist nicht mehr auf ein Außen und Entgrenzung, sondern zurück auf den Körper selbst, an dem man feststellte, dass die Haare einfach stören. Sie werden ausgemendelt. Nur Amy Winehouse trägt noch so eine mächtige Bienenkorbfrisur, als müsste die ganz allein den Opfern der allgemeinen Depilation ein Asyl bieten. In den Sechzigern war diese Beehive-Mode übrigens sehr beliebt. Jetzt wieder im Retrodesign, wie doch auch die Musik von Amy Winehouse.

Ein Aufbäumen gegen die Wirklichkeit, die allerdings längst beschlossen hat, dass es mit den Haaren als primäres Merkmal von Pop erst einmal vorbei ist. THOMAS MAUCH