Blaues Schwein vom Arbeitsamt

Stundenweise jobben als Tagelöhner für ein paar Euro: Arbeitslose Akademiker hoffen auf Losglück, jeden Tag aufs Neue. Im Angebot der Agentur für Arbeit sind meist Umzüge oder Wespennester – „Unseriöses“ aber wird natürlich nicht vermittelt

aus KielStefanie Zenke

Die Zahl 924 auf dem Loszettel wird Martin Schmidt (Name geändert) heute Glück bringen. Für wenige Stunden hat der 41-Jährige einen Job: Mit zwei Studenten aus China darf der ausgebildete Psychologe Umzugskisten schleppen – in den fünften Stock eines Kieler Mietshauses. „Weil meine Zahl der Startnummer 920 am nächsten war, habe ich den Job bekommen“, erklärt der Akademiker das Losverfahren der Jobvermittlung der Bundesagentur für Arbeit in Kiel.

Tagelöhner, so werden arbeitswillige Jobber wie Martin gerne bezeichnet. Gemeinsam mit achtzig anderen Arbeitssuchenden – Studenten, Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose – steht er um 7 Uhr morgens im Büro der Vermittlungsstelle; gerade einmal drei Jobs gibt es heute im Angebot. Einer nach dem anderen greift in einen Plastikeimer, der gefüllt mit rosafarbenen Losen ist. Es ist mucksmäuschenstill. Ein Mitarbeiter verliest die kurze Jobliste: Gesucht werden neben den Umzugshelfern ein Dolmetscher sowie ein Experte für die Entfernung von Wespennestern.

Früher, erzählt Sina Barkowski von der Jobvermittlung in Kiel, hat derjenige den Job bekommen, der als erster am Morgen da war. „Das hat dazu geführt, dass die Leute im Schlafsack vor der Tür übernachtet haben.“ Seit über 25 Jahren gibt es diese Art der Vermittlung bereits. Während damals nur ein paar Rentner Hoffnung auf begehrte Tagesjobs hegten, sind es heute meist Akademiker und junge Leute, die ohne Arbeitsplatz sind und ein paar Euros verdienen wollen. Oft stehen in Kiel werktags bereits 100 bis 150 Leute für einen Job Schlange.

Rund 400 Jobs wurden im August vermittelt. Meist werden Männer mit Muskelkraft gesucht: als Umzugshelfer, für die Baustelle und schwere Gartenarbeiten. „Es kommt aber auch vor, dass jemand für Werbezwecke als blaues Schwein verkleidet durch die Stadt laufen muss“, sagt Barkowski. Unseriöse Arbeitsangebote flattern der Einrichtung ab und zu auch auf den Tisch und werden ignoriert. Wie viel ein Tagelöhner verdient, bestimmt der Arbeitgeber. Meist sind dies Privatleute aus Kiel und Umgebung, die zwischen 7 und 12 Euro bezahlen. „Die Einrichtung hat sich etabliert“, sagt Barkowski, „die Menschen sind froh, dass sie wenigstens für ein paar Stunden hier Arbeit kriegen.“

Martin ist einer der wenigen Tagelöhner, der versucht, von dem ungewissen Verdienst zu leben. „Das ist mein Anspruch, den ich an mich selbst habe, dass ich es auch ohne Arbeitslosengeld schaffen kann.“ Vor drei Jahren hat er seinen Job verloren; schon lange hat er aufgehört seine Bewerbungen zu zählen. Anfangs, erzählt er, habe ihn das neue Leben – jeden Tag wieder einen anderen Job anzunehmen – gereizt. „Dann wurde es nervig, immer die Ungewissheit, ob man heute etwas vom Kuchen abbekommt.“

Dumme Sprüche von Leuten, die sich einen Arbeitslosen für Hilfsarbeiten „bestellen“, bekommt Martin nur selten zu hören. „Aber es gibt sie.“ Neulich half er gemeinsam mit ein paar Afrikanern bei einem Umzug. „Da kam dann der Kommentar, ob wir nicht schneller arbeiten können.“ Ein wenig ist die Jobvermittlung in Kiel für den Akademiker schon zum Lebensmittelpunkt geworden. „Hier lerne ich immer wieder nette Leute kennen.“

Auch Sina Barkowski weiß, „dass das hier ein wichtiger Treffpunkt für die Arbeitssuchenden ist“. Eine Weltkarte im Büro von Barkowski belegt die Internationalität der Jobber: die Stecknadeln reichen von Neuseeland über Madagaskar bis hin nach Feuerland.