Es geht auch anders herum

Wer die Hamburger Schule überlebt hat, darf alles: Die Summe „Lebend“ geht andere Wege als ihre einzelnen Teile und versucht es mit E- Gitarrensoli und poppigem Bluesrock

von Jan Freitag

Was bitte ist schwieriger, als in Würde zu altern? Gerade Poprocker haben da ja so ihre Probleme – Eigencover in Memoriam erfolgreicherer Zeiten, voranschreitende Vergreisung auf der Stadionbühne, Revivals, Reunions, all die fahlen Aufgüsse. Die Aeronauten haben in geriatrischer Gelassenheit gesungen: „mit der Zeit fängt man an, sich für Countrymusic zu interessieren“. Damit sprechen sie Senioren-Dixybands wie ergrauten Neobluesrockern aus der Seele. Wer den Pop mit all seinen Facetten im Allgemeinen durch- und die Hamburger Schule im Besonderen überlebt hat, der darf auch Sachen machen, die sich sonst eigentlich von selbst verbieten. Mundharmonikas jaulen lassen zum Beispiel, endlose E-Gitarrensoli durchprollen oder schenkelklopfende Textzeilen wie „soll ich jetzt schlafen gehen oder soll ich lieber mit dir schlafen gehen?“ singen.

Also wollen wir das alles der nicht mehr ganz neuen, aber immerhin neu erscheinenden Schreddel-Pop-Blues-Rock-Kapelle Lebend wohlwollend nachsehen. Denn in dem Männerquartett aus der Mitte Hamburgs arbeiten Mitglieder von immer noch aktiven Szenegründern wie Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs und längst verloschenen wie Licht. „Es geht auch andersherum“ heißt fünf Jahre nach ihrer spontanen Gründung auf dem Geburtstag des Drummers das Erstlingswerk von Lebend. Endlich und auf CD gepresst, haben sie es gestern in der Sternschance, alias Norwegerheim, vorgestellt, freundschaftlich unterstützt von der fulminanten Schreddelpopfrauenkapelle Lourex.

Die Studioversion von Heiko Martens (Bass und Gesang), Stephan Krause (Gitarre), Harry Martens (Schlagzeug) und Heiko Schwark (Mundharmonika) ist dagegen ein klassischer Fall von Ansichtssache. Nicht innovativ, aber ehrlich. Nicht sonderlich anspruchsvoll, aber irgendwie unmittelbar. Kein Schmankerl für Astra-Stuben-Stammgäste, aber besser als manch andere alternde Exmitschüler.

Musik, das erscheint konsensfähig, die live doch ein bisschen besser funktioniert als in Konservenform. „Wir kommen am liebsten direkt von der Bühne ohne Geräte ins Publikum“, beschreibt es Suppenwürfel-Urmitglied Harry Wagener. Auf der Lautstärkeskala rangiere das Ganze seiner Meinung nach bei „laut, nicht krachig“. Dafür mit hymnentauglichen Refrainchorälen wie „Man muss sich auch mal selber loben, sonst kommst du in dieser Welt nie nach oben“. So was können nur Rundumdievierziger singen, die zumindest in ihrer eigenen kleinen Musikwelt schon mal oben waren und sich um allzu große Sprünge nicht mehr scheren müssen.

Deshalb haben sie sich auch gar nicht erst ein Label gesucht, sondern ihre elf durchweg eigenkomponierten Stücke in Eigenregie eingespielt. Die wollen sie nun erst mal über die Homepages www.lebend.de und schanzenrocker.de vertreiben. Dabei soll jede CD individuell gestaltet sein, verspricht Harry Wagener marketingkundig. Liebevoll von Hand bemalt und ebenso akribisch verpackt. So ähnlich machen das ja wohl fast alle, die versuchen in Würde zu altern. Und ganz besonders Poprocker.