Gefräßige Brunnenkunst

Seit gestern der Öffentlichkeit übergeben: Daniel Spoerris „Tröpfler“ an der Marktstraße ist Bremens schönste Wassersprudelquelle. Schließlich gilt: „Der Fleischwolf ist eine Metapher des Lebens“

Man flutscht hinein in einen von Omas Fleischwölfen, schlängelt sich durch und wird zunehmend verhackstückt

Brunnengespräche. Steter Tropfen höhlt den Gedanken. Bis man nur noch da hockt, versonnen schaut, das Tröpfeln sich zu einem Plätschern addiert, in das man versinkt – wie in ein Mandala des Surrealismus. So funktioniert die gestern an der Marktstraße von Bauzäunen befreite schönste Bremer Wasserquelle: Daniel Spoerris dada-witzig gestalteter Brunnen, eine keck verspielte Komposition aus etwa 80 historischen Küchengeräten der mechanischen Zerkleinerung: vom klassischen Fleischwolf über den Kohlhäcksler bis hin zur feinen Raspel.

Allesamt aufgehängt an einem Quartett vier Meter hoher Vierkantstäbe, die aus einer riesigen Schale ragen. Ein Angebot zu Fantasiereisen. Man flutscht hinein in einen von Omas Fleischwölfen, schlängelt sich durch die Windungen, wird zunehmend perforiert und verhackstückt, um als beef homo tartaricus wieder das Licht des Tages zu erblicken. Memento mori? Höllenfahrt? Von Tropfen gehöhlte Gedanken. Ziellos. Wenn nicht Spoerri erläutert hätte: „Es geht um die Reduktion des Menschen auf seine Überlebensfähigkeit, den Prozess des Verdauens, das Zerkleinern.“ Um das Zerkleinerte als Lebensbausteine neu zusammensetzen, die dabei frei werdende Energie zu nutzen, und mit den Abfallprodukten weiteres Leben zu düngen. Spoerri: „So ist der Fleischwolf eine Metapher des Lebens.“

Umspült wird das Kunstwerk vom Element des Lebens, dem Wasser. Umrankt von Friedhofs-Berberitzen, die gierig das Spritzwasser wegsüffeln.

Offiziell heißt die Skulptur, die mit 88.000 Euro von der „Stiftung Wohnliche Stadt“ finanziert wurde, „Fleischwolfbrunnen“. Der Künstler selbst nennt sie „Der Tröpfler“. Und Bremens Beauftragte für Kunst im öffentlichen Raum, Rose Pfister, spricht vom „Spoerri-Brunnen“. Denn Spoerri, das ist schon jemand, mit dem sich eine Stadt schmücken kann. Eine gewichtig durchs Leben schillernde Figur: Solotänzer des Berner Balletts, Dichter, Experimentalfilmer, Theaterregisseur, Kunst-Koch, Landschaftsgärtner und Hochschullehrer. In den großen Museen der Welt ist dokumentiert, wie der 1930 in Rumänien geborene „Universaldilettant“ Müll in frisches Brot buk, die Lebensmittel eines Krämerladens durch den Aufdruck „Achtung Kunstwerk“ in Kunst verwandelte oder zehn Kilo Käse unter dem Titel „Mir stinkt’s“ in eine Ausstellung hängte, um gegen politische Diskriminierung zu demonstrieren. Alles im ironischen Ton von Spoerris Mentor Marcel Duchamps. Alles in der Absicht, Kunst und die Banalität des Lebens wieder zu vereinen.

Spoerri bleibt ein Resteverwerter der Wegwerfgesellschaft, der mit sympathischem Witz der Realität einen doppelten Boden einzieht. Der Fleischwolf ist bei ihm Produktionsmittel für Thüringer Mett, Symbol des Daseins und Zeichen für den „Autokannibalismus des Menschengeschlechts“. Einer der hungrigen Metallwölfe verspeist gerade eine knochige Damenhand, ein anderer verschlingt einen Fuß.

Mit der neugotischen Schnörkel- beziehungsweise neoklassizistisch strengen Architektur des Platzes sowie der Lage zwischen kirchlicher, politischer, merkantiler und monetärer Macht, will Spoerri nichts zu tun haben: „Der Brunnen wirkt für sich, erzählt seine eigene Geschichte.“ Wer sich aber durch animiert sehe, (in Gedanken) die Vertreter der staatstragenden Organisationen durch den Fleischwolf zu drehen, habe seine Kunst auch nicht falsch verstanden. fis