Die Achse des Rock – von Tobias Rapp
: Zu früh gekommen

Sie dürfte der Fluch derjenigen treffen, die die Ersten waren, aber nicht die Besten sind. Als Radio 4 vor zwei Jahren „Dance To The Underground“ veröffentlichten, lieferten sie den Blueprint für eine Welle von Bands, die noch immer nicht abgeebbt ist. Als Post-Punk-Revival werden diese Gruppen gerne gehandelt; was sie eint, ist: als Rockband Dance-Rhythmen zu spielen, sich dabei mehr oder minder direkt an Bands aus den experimentierfreudigen frühen Achtzigern wie Gang Of Four zu orientieren, die grundpolitische Was-kann-man-gegen-die-Scheiße-tun-Frage zu stellen und die alte tanzflächenfeindliche Indierock-Ästhetik in die Tonne zu treten. Sie kamen auf dem hippen New Yorker DFA-Label heraus, auf dem wenig später auch The Rapture folgten. Für „Stealing Of A Nation“ haben sie sich nun von DFA verabschiedet, um mit dem Primal-Scream-Produzenten Max Heyes eine Platte einzuspielen, die ein wenig zu viel sein möchte: Neben dem Versuch, die missliche Weltlage zu problematisieren, wollen Radio 4 sich noch immer als Rockband den House-Rhythmen anverwandeln, dies aber mit einer Soundbreite, die es ihnen auch ermöglichen soll, die ganz großen Hallen zu bespielen. Doch so eingängig eine Single wie „Partycrasher“ daherkommt: Wer sich an einer Tanzflächen-Ästhetik orientiert, gibt durch ein solches Sounddesign genau den Ort auf, an dem diese Musik am besten funktioniert, den Club nämlich.

Radio 4: „Stealing Of A Nation“ (City Slang/Labels)

Alle Regler aufreißen

Im belgischen Gent wird genau von der entgegengesetzten Seite aus am Einsturz des Unterschieds zwischen Zitat und Sample gearbeitet: Die beiden Brüder David und Stephen Dewaele sind nicht nur die Söhne eines berühmten belgischen Radio-DJs, unter dem Namen 2ManyDJs waren sie vor zwei Jahren die erfolgreichsten Vertreter des Mash-Up-Pop, der schnell gemachten Kunst des Übereinanderlegens von Vocals und Instrumentals unterschiedliche Stücke zu einem neuen Track. Soulwax nennen sie ihre Band, deren Musik nach dem gleichen Muster funktioniert: Von Glam- bis zu Stadionrock, von T. Rex bis Queen wird alles durch die Mangel gedreht, was auf Überwältigung verweist, jedes Element gibt Alarm. Auf dem gleichen Energielevel ein DJ-Set, das einen Kracher an den anderen reiht, versuchen sich Soulwax mit „Any Minute Now“ diesem Konzept als Band anzunähern. Das Einzige wenn auch Entscheidende, was man bei aller Sympathie für diesen Versuch, den Unterschied zwischen DJ-Set und Rockauftritt einzuebnen, leider gegen das Ergebnis einwenden muss, ist, dass man Hits eben offensichtlich nicht mit der gleichen Leichtigkeit aus dem Ärmel schüttelt, wie man sie aus der Plattenkiste ziehen kann. Will sagen – der Wille zur großen Geste zieht sich durch alle Stücke, immer sind alle Regler bis zum Anschlag aufgerissen, überall heißt es voll auf die Zwölf. Aber: „Any Minute Now“ fehlt schlicht und einfach der Hit.

Soulwax: „Any Minute Now“ (Pias/Rough Trade)

Verdaddelt zum Kontrollverlust

An einem Hit mangelt es der New Yorker Band !!! (sprich tschick, tschick, tschick, wie das dreifache Zischen einer Hihat) nicht. Im Gegenteil: „Me and Giuliani down in a schoolyard“, ihr neunminütiges Epos, in dem sie nachhaltiges Kuhglockengebimmel und rasiermesserscharfe Wave-Gitarren auf einen monströsen Groove prallen lassen, war eine der besten Singles des vergangenen Jahres. Auch ist die achtköpfigen Gruppe eine der augenblicklich großartigsten Live-Bands des Planeten. Begnadet mit einem Sänger, der jeden Abend aufs Neue wie von einer Tarantel gestochen den Kontrollverlust zu verkörpern vermag und einem Irren als Schlagzeuger haben die !!! in diesem Sommer jedes Festival zusammengefaltet, das sie auf die Bühne ließ. Allein: Auf ihrem Album „Louden Up Now“ überträgt sich in keinem Moment der entfesselte Wahnsinn ihrer Live-Auftritte. Was live auf das schönste funktioniert, sich als Band die Rhythmen der elektronischen Tanzmusik zu fräsen – womit sie methodisch am ehesten britischen Rave-Bands wie den Happy Mondays verwandt sind –, diesem Wall of Sound aber einen Druck zu geben, wie es eben nur mehrere Musiker schaffen, die sich auf einen Groove einigen: Auf Platte funktioniert es nicht. In einigen Momenten scheint diese Fähigkeit durch, dem gleichfalls anpolitisierten „Shit, Scheiße, Merde“ etwa. Die meisten Stücke daddeln jedoch recht unentschieden vor sich hin.

!!!: „Louden Up Now“ (Warp/Rough Trade)