Der Fremdling

Ein Verlierer der Antihartz-proteste heißt Schönbohm. „Er ist zu fordernd“, sagt ein BeobachterUmfragen zeigen: Schönbohm bindet den rechten Rand nicht – trotz mancher seiner Ansichten

VON HEIKE HOLDINGHAUSEN

Jörg Schönbohm ist klein, laut und böse. Ein Populist, der vor Türkenghettos warnt, über Schwule herzieht und Schulschwänzern Fußfesseln anlegen will. Er macht es seinen Gegnern leicht: „Stoppt Schönbohm!“, werben die Grünen im Brandenburger Landtagswahlkampf. Sich selbst und seinen Wählern macht es der General schwer: Laut der jüngsten Forsa-Umfrage wird die CDU etwa 22 Prozent der Stimmen erreichen – bundesweit liegt sie doppelt so hoch.

Dabei dürfte der Brandenburger Innenminister bis Ende September jedem potenziellen Wähler persönlich die Hand geschüttelt haben: Ob Brauereibesichtigung in Potsdam oder Feuerwehrtreffen im Havelland, überall taucht der Innenminister schnellen Schrittes auf. Als er 1998 als Berliner Innensenator aufgab und nach Brandenburg wechselte, „war das eine Heimkehr“, sagt er. Schließlich ist der 67-Jährige, wie auch seine Frau Eveline, im Land geboren, in einem Dörfchen nahe Fürstenwalde.

Als Kind mit den Eltern nach Westdeutschland gezogen, habe er seine Heimat immer vermisst, sagt er. Und ist 1990 dorthin zurückgekehrt, um als Befehlshaber des Bundeswehrkommandos Ost die Nationale Volksarmee (NVA) aufzulösen. Er sei nicht als Gesandter einer Siegermacht erschienen, sagen NVA-Leute später, sondern als Kamerad bei Kameraden.

Heute wirft er Manfred Stolpe vor, von Brandenburg zu lange als der „kleinen DDR“ gesprochen zu haben. „Man muss die Zukunft in Kenntnis der Vergangenheit gestalten, aber nicht auf Basis der Vergangenheit“, findet er. Solche Sätze nehmen sie ihm übel in der Mark: Nur 17 Prozent der Brandenburger würden ihn wählen, könnten sie direkt über den Ministerpräsidenten abstimmen.

Amtsinhaber Matthias Platzeck käme auf 59 Prozent. Auf Wahlplakaten wirbt er für sich mit dem Slogan „Einer von uns“. Als einer von ihnen spricht er das Wort „Hartz“ gar nicht mehr aus, lieber schwadroniert er über die Benachteiligung der Ostdeutschen. Währenddessen hetzt Schönbohm im hellgrauen, zerknautschten Sommeranzug von einem Termin zum anderen und erklärt, „Hartz ist Gesetz, darum muss es jetzt umgesetzt werden“. Er hält die Arbeitsmarktreform für richtig. „Die Würde des Menschen liegt in ihm selbst, und er ist für sich verantwortlich“, sagt er – Schönbohm, der Liberale.

Er selbst hat in der sicheren Umgebung von Bundeswehr und Regierungsapparat der Bundesrepublik Karriere gemacht. Die Brutalität, mit der die „freie Marktwirtschaft“ im Osten ihre Kraft entfaltet, Städte entleert, Familien auseinander reißt und Biografien zerstört, hat er am eigenen Leib nicht erfahren. Und so ist der Verlierer der Antihartzproteste in Brandenburg Jörg Schönbohm – und die CDU. „Er ist zu fordernd“, sagt ein Beobachter, „er kann nicht durch Regionen mit 20 Prozent Arbeitslosigkeit fahren und von Eigenverantwortung sprechen.“ Doch Schönbohm findet: „Die Ostdeutschen sind schon zu oft enttäuscht worden, denen darf man nichts mehr vormachen, auch nicht, um eine Wahl zu gewinnen.“

1999 in einer Bauernstube bei Belzig. Es ist Schönbohms erster Wahlkampf in Brandenburg. Erfolgsaussichten? Keine. Landwirte haben ihn eingeladen, die nicht in alten LPG-Strukturen wirtschaften und damit die natürlichen Verbündeten der CDU sind. Schönbohm sitzt also mit ihnen im Wohnzimmer, und sie beginnen, über alte Genossen zu giften, und wo die jetzt überall säßen. „Das größte Schwein im ganzen Land / ist und bleibt der Denunziant“, sagt Schönbohm. Dann ist Schweigen. Aus dieser Bauernstube geht er, wie er gekommen ist – als Fremder.

„Er sucht den Diskurs, weicht keiner Diskussion aus“, sagt Wolfgang Wieland, Spitzenkandidat der Grünen und wie Schönbohm ein Berlin-Import. „Aber er ändert seine Meinung nicht.“ Er könne halt manchmal „den General nicht ablegen“, sagt Andreas Schuster, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei aus Cottbus. „Die Brandenburger wollen Politiker, die zuhören – Befehlsempfänger waren sie lange genug.“ Ausgerechnet bei der Polizei ist der Law-and-Order-Mann heute unbeliebt. Vor zwei Jahren drehten die Polizisten ihrem Dienstherrn auf einer Kundgebung demonstrativ den Rücken zu. Sie sind verbittert über Schönbohms Polizeireform – weniger über ihren Inhalt als darüber, wie er sie umgesetzt hat. „Die Politik hat über den Kopf der Kollegen hinweg entschieden“, sagt Schuster.

So klingen auch die Kritiker an Schönbohms zweiten großen Projekt: Mit der Reform der Gemeindegebiete nahm er den Brandenburgern ihre geliebten Minidörfer. Schönbohm habe mit jedem Bürgermeister einzeln geredet, sagen Beobachter. Beide Reformen habe er angepackt und umgesetzt; es sind die einzigen größeren dieser Landesregierung. Schönbohm hat Gestaltungswillen, und er hat den Mut, ihn durchzusetzen. Mit der Konsequenz muss er leben: 17 Prozent, siehe oben.

Eine weitere Prozentzahl ist für ihn bedeutsam: die 13. So hoch schätzen Meinungsforscher das Wahlpotenzial der rechtsradikalen Parteien bei der Landtagswahl. Die Umfrage zeigt, dass Schönbohm den rechten Rand nicht bindet – wie etwa die CSU in Bayern –, obwohl er mit seinen Ansichten zur Einwanderungs- oder Familienpolitik nicht weit von der rechten Ecke entfernt ist. Muslime erscheinen bei ihm vor allem als Islamisten, als Berliner Innensenator fühlte er sich in einigen Gebieten der Stadt „nicht als Deutscher in Deutschland“, und nicht nur in Interviews mit der rechtsradikalen Jungen Freiheit hat er vor der „Irrlehre der multikulturellen Gesellschaft“ gewarnt.

Als Brandenburgs Innenminister trieb ihn das Thema weiter um. Nach dem 11. September 2001 mussten auch die Studenten von Potsdam bis Frankfurt an der Oder Rasterfahndungen über sich ergehen lassen. Mit der Kirche lag der gläubige Protestant im Dauerstreit über das Kirchenasyl, das sie vietnamesischen Familien gewährt hatte.

Entspannt wirkt Schönbohm, der sich selbst ungeduldig nennt, wenn er in Berlin beim Italiener sitzt und einen Cappuccino trinkt. Er könne rechten Jugendlichen ideologische Munition liefern? Den Vorwurf schnipst er weg wie die Asche seiner Zigarette. „Ich habe mehr Freunde im Ausland als sonst jemand im Brandenburger Kabinett“, sagt er und erklärt: „Gegen Multikulti einzutreten heißt doch nicht, Fremdenhass zu schüren.“ Im Gegenteil – die Gewalt der Rechtsextremen sei die größte Herausforderung in Brandenburg.

„Schönbohm reduziert Rechtsextremismus auf den kriminellen Aspekt“, sagt Kay Wendel vom Verein Opferperspektive, der sich um Opfer rechter Gewalt in Brandenburg kümmert. Gegen diese Kriminalität geht Schönbohm mit voller Wucht an und setzt dabei ganz auf die Polizei. Die rückt schnell an, wenn rechte Bands Konzerte geben oder Skins Partys feiern, die in Schlägereien enden. Die Beamten leisten sogar Sozialarbeit, um die Glatzköpfe zu erreichen, bevor sie zutreten. „Seine praktische Politik ist nicht sehr viel anders als die seines SPD-Vorgängers“, sagt Wendel. Aber auf der symbolischen Ebene zündele er mit rechter Gesinnung und offenbare sich als Nationalkonservativer, der ganz klar wisse, wo der Feind stehe: links.

Es ist August, Burgfest in Spremberg. Die Honoratioren feiern den kulturellen Höhepunkt ihrer „Perle der Lausitz“, der Bürgermeister trägt heute ein Mittelalterkostüm. Jörg Schönbohm nicht, er ist Teil des Rahmenprogramms. Von nervösen Männern in Schwarz umschwirrt, zieht er in den Hof des Schlösschens ein, schiebt seine Frau auf eine Bank zwischen die Lokalprominenz und holt Bier und Rotwein in Kunststoffbechern. Sein Parteifreund Egon Wochatz feiert auch mit. Wochatz feiert gern – im Juni etwa bei einem Treffen von Veteranen der Waffen-SS. Schönbohm soll darüber zwar wütend gewesen sein, unternommen hat er nichts.

Dabei ist er nicht zimperlich, wenn es gilt, die eigene Partei zur Ruhe zu bringen. Bevor er kam, war die Partei vor allem mit Intrigen und Machtkämpfen befasst, heute ist damit Schluss. In Potsdam kann man Christdemokraten treffen, die Gift und Galle spucken, wenn sie Schönbohms Namen hören. Die PDS-Politikerin Kerstin Kaiser-Nicht hat beobachtet, wie er die innerparteiliche Diskussionskultur zerstört hat. „Er ist der Patriarch, der den Deckel draufstülpt, wo’s kocht.“ Ein Nachfolger ist nicht in Sicht, nicht einmal talentierter Nachwuchs. „Er duldet keine starken Männer neben sich“, sagt Kaiser-Nicht.

Schwach waren auch seine Minister: Von der ursprünglichen Riege der CDU-Kabinettsmitglieder ist nur er übrig geblieben, seine drei Kollegen mussten wegen Affären zurücktreten. Auch an Schönbohm wird wohl etwas hängen bleiben – er soll den Exwirtschaftsminister Wolfgang Fürniß vor Ermittlungen des Staatsanwaltes gewarnt haben.

Und so gibt es kein Gruppenfoto auf den CDU-Plakaten. Schönbohm blickt allein heraus, mit geballter Faust und blauen Augen. Er wollte als Ministerpräsident aus diesen Wahlen herausgehen, im Frühjahr schien das möglich. Jetzt kämpft Schönbohm um die große Koalition. „Wir sind mit unseren Themen beim Wähler nicht angekommen“, sagt er – der Populist, den keiner hören will.