Das Ziel: Leben der Geiseln retten

In Beslan sollen Verhandlungen mit den Geiselnehmern aufgenommen werden. Bei den Angehörigen der Geiseln ist die Angst größer als die Hoffnung

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Alte und junge Frauen mit tränenüberströmten Gesichtern laufen vor der Absperrung der Schule Nummer eins in Beslan ruhelos auf und ab. Sie sind erschöpft, weinen und klagen. Wie eine Trauergemeinde, deren Hoffnung sich zerschlagen hat. Die Nacht haben hunderte Angehörige im strömenden Regen im Freien ausgeharrt. Mitarbeiter des Krisenstabs versichern, dass alles Erdenkliche getan werde, um die Kindergeiseln zu retten. An einen gewaltsamen Sturm der Schule sei nicht gedacht, versicherte der Chef des nordossetischen Inlandsgeheimdienstes Walerij Andrejew: „Die Frage eines gewaltsamen Vorgehens steht nicht an. Wir haben lange Gespräche vor uns“.

Den Eltern konnte dies nicht die Ängste nehmen, es hat sie eher misstrauisch gemacht. Verzweifelte Eltern haben an Präsident Wladimir Putin denn auch eine Videokassette mit der Bitte geschickt, auf die Forderungen der Terroristen einzugehen. Davon erfuhren indes nur die Hörer der Radiostation „Echo Moskwy“. Die staatlichen TV-Stationen vermeiden alle Nachrichten, die Emotionen aufwühlen könnten. Dort bedanken sich Mitarbeiter des Krisenstabes bei den Angehörigen für ihre vernünftige und besonnene Haltung.

In der Nacht hatte Leonid Roschal Kontakt zu den Terroristen in der Schule aufgenommen (siehe Kasten). Das erste Gespräch verlief anscheinend ohne Ergebnisse. Die Terroristen ließen nicht einmal eine Lieferung von Lebensmitteln, Trinkwasser und Medikamenten in die Schule. Nur Leitungswasser dürften die Kinder trinken, meldete das russische Fernsehen. Einige Geiseln durften gestern jedoch die Schule verlassen.

Nach Auskunft des Geheimdienstes in Nordossetien lehnten die Terroristen die Einrichtung eines ständigen Funkverkehrs ab. Warum die Präsidenten Nordossetiens und Inguschetiens, wie von der zwanzigköpfigen Bande gefordert, mit den Terroristen noch nicht verhandelt haben, blieb bislang unbeantwortet. Die Terroristen verlangen neben dem Abzug russischer Truppen aus Tschetschenien die Freilassung mehrerer Gefangener, die im Juni in der Nachbarrepublik Inguschetien einen blutigen Überfall organisiert hatten.

Inzwischen scheint auch die Identität des Anführers der Gruppe geklärt. Wie die Zeitung Kommersant berichtet, ist es der Feldkommandeur Doku Umarow. Er gehört zum Kreis um den Wahhabiten und Terroristen Schamil Bassajew. Beide haben erheblichen Anteil daran, dass der vertriebene tschetschenische Präsident Aslan Maschadow von radikalen Kräften verdrängt wurde. Gegen den Willen Maschadows hat Umarow seit 2001 mehrere Attentate verübt. Die Gruppe bezeichnet sich als das zweite Bataillon der Gruppe „Riadus Salichiin“. Diese Organisation untersteht Bassajew und tauchte erstmals im Herbst 2002 auf, als der Terrorist drohte, Russland mit einem Bataillon von Selbstmordattentäterinnen in die Knie zu zwingen. Nach Angaben des FSB Geheimdienstes befinden sich unter den Terroristen außer Tschetschenen auch Osseten, Russen und Inguschen. Sie sind alle russische Staatsbürger, dennoch bezeichnet der Geheimdienst die Gruppe als „internationale“ Terroristen.

Muslimische Würdenträger haben die Geiselnahme scharf verurteilt. „Ich unterstütze die Maßnahmen der Sicherheitsorgane vollends, wie hart sie auch immer sein mögen“, sagte der russische Obermufti Rawil Gainutdin. Er spielte damit aber nicht auf eine gewaltsame Befreiung der Geiseln an, sondern plädierte für eine Verschärfung der administrativen Sicherheitsmaßnahmen. Das Verhältnis der Muslimführer zum Kreml ist loyal, wenn auch nicht frei von Spannungen. So wies Gainutdin darauf hin, dass der gefährlichen Tendenz, Muslime und Terroristen in Russland gleichzusetzen, Einhalt geboten werden müsse.

Die tschetschenische Diaspora in Moskau hat sich zu den Ereignissen in Nordossetien noch nicht geäußert. Das Bild der Tschetschenen in der russischen Gesellschaft wird dadurch noch mehr Schaden nehmen. Eine klare Verurteilung der Gewaltakte hätte ein Stück Versöhnung signalisiert. Ob Scham oder Angst die Diaspora davon abhält? Ihr Schweigen kann als Rechtfertigung von Gewalt je nach ethnischer Zugehörigkeit gesehen werden.