Willkommenes Attentat

Verschwörungstheorien? Nur gefährlich, wenn sie den Verstand ausschalten. In Sachen 11. 9. ist das besonders prekär, werden doch die wahren Fragen um das Attentat nicht gestellt

von KLAUS HILLENBRAND

Verschwörungstheorien zu pflegen war bisher eine Spezialität von eher unpolitischen Menschen oder Rechtsradikalen. In den USA besonders beliebt ist etwa die These, die Amerikaner seien nie auf dem Mond gelandet, vielmehr seien die beeindruckenden Bilder vom bleichen Mondgestein und der blauen Erde in einem Hollywoodstudio entstanden. In Großbritannien populär ist wiederum die Behauptung, Lady Diana sei vom Geheimdienst Ihrer Majestät MI 6 in einer konspirativen Aktion um die Ecke gebracht worden.

Jene Theorien eint, dass sie recht wenig Schaden anrichten. Ihre Anhänger mögen sie propagieren, soviel sie wollen, es juckt niemanden – von ehemaligen Mondfahrern und der königlichen Familie vielleicht abgesehen.

Die neueste Verschwörungstheorie ist da von einem anderen Kaliber. Sie ist gefährlich, denn sie legt nahe, wenn sie nicht gleich behauptet, nicht islamistische Terroristen seien für die Massenmorde vom 11. September 2001 verantwortlich, sondern ein Konglomerat aus US-Geheimdienst, Präsident Bush und dem israelischen Mossad.

Es ist nun leider nicht zu erwarten, dass diese Theorie in Vergessenheit gerät, weil sie widerlegt ist – auch in der taz. Auch auf öffentlichen Podien sind die Thesen der Bröckers, Wisnewskis und Bülows zerlegt worden wie ein Ikearegal beim Umzug – doch nicht ein Einziger von ihnen rückte deshalb auch nur ein Jota von seinen Behauptungen ab. Mehr noch: Deren Anhänger protestieren in wütenden Leserbriefen gegen alle, die ihren Glauben mit simplen Fakten in Frage stellen – denn es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Historisch sind Parallelen zu entdecken. Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens versuchte nach dem Ersten Weltkrieg – mit schlagenden Argumenten, aber ohne jedes Ergebnis – die Mär von den „Weisen von Zion“, die es geheimbündlerisch auf die Weltmacht abgesehen hätten, aus den Köpfen zu schaffen. Und nach dem Holocaust waren sich seriöse Wissenschaftler nicht zu schade, die absurde Behauptung, der Nazimassenmord an den Juden sei technisch unmöglich gewesen, in allen Details zu widerlegen – natürlich, ohne deswegen auch nur einen einzigen Neonazi von der Irrationalität seiner Behauptungen abzubringen.

Warum aber stößt die Verschwörungstheorie zum 11. 9. in der deutschen Bevölkerung, besonders bei der vermeintlichen Linken und bei den Rechtsradikalen, auf derartigen Zuspruch? Einer Umfrage der Zeit zufolge geht ein Fünftel aller Deutschen davon aus, die US-Regierung selbst habe die Anschläge in Auftrag gegeben. Offenbar entspricht die Theorie gewissen Deutungsmustern, die schon vor den Anschlägen bestanden hatten.

Eine davon ist zweifellos die weit verbreitete Vermutung, den USA im Allgemeinen und Präsident George W. Bush im Besonderen sei jede Schweinerei zuzutrauen. Tatsächlich haben die US-Politik und ihre Skandale – von Chile 1973 über die Contraaffäre bis zum jüngsten Krieg gegen den Irak – dafür gesorgt, dass die einzige verbliebene Supermacht ein miserables Image hat. War es in den Tagen nach dem 11. 9. noch die Abscheu gegen das Verbrechen, die hunderttausende Deutsche auf die Straße trieb, so demonstrierten anderthalb Jahre später noch mehr Menschen – nun jedoch gegen die US-Politik.

Mit Verschwörungstheorien hat das zunächst einmal nichts zu tun. Aber umgekehrt hätte die 11.-9.-Theorie nie funktioniert, hätte man beispielsweise dem vermeintlich harmlosen Japan eine solche Untat untergeschoben.

Die globale Omnipotenz der USA ist es auch, die früh Zweifel am Tathergang vom 11. 9. gesät hat. Kann es sein, dass ausgerechnet die Supermacht zum Opfer einer Bande von mit Teppichmessern bewehrten Flugschülern wurde? Ist das glaubhaft in einem Land, das Supercomputer, Superflugzeugträger und Supermilitärjets sein Eigen nennt? Wo CIA und FBI angeblich alles belauschen und fast alles wissen?

Es ist Inhalt vieler Verschwörungstheorien, dass einfache Tatsachen geleugnet werden – weil das Einfache als zu simpel erscheint, um bei der Größe des Ereignisses wahr sein zu können. Ein besoffener Fahrer soll Schuld am Tode von Lady Di sein? Unmöglich! Ein durchgeknallter Einzeltäter erschoss John F. Kennedy? Niemals!

Im Fall vom 11. 9. passt dieser Unglaube zum tatsächlichen Versagen der US-Geheimdienste und der militärischen Abwehr. Man musste kein Anhänger einer Verschwörung sein, um nach dem Massenmord darüber zu staunen, dass dieses Land zwar Gesteinsproben auf dem Mars untersuchen kann, aber nicht dazu in der Lage ist, in adäquater Zeit Abfangjäger über dem eigenen Territorium aufsteigen zu lassen.

Dass besonders dumpflinke Deutsche dem Unsinn des selbst gesteuerten Angriffs der USA auf die USA aufsitzen, kann wenig überraschen. Schließlich sind es die Vulgärmarxisten, die das Feindbild Amerika (nicht nur) in jüngster Zeit am sorgfältigsten gepflegt haben. Die Verschwörungstheorie vom massenmordenden Präsident George W. Bush passt einfach zu gut. In diesen Denkungsrahmen fungiert der 11. 9. – Gipfel der Perfidie – als Legitimation für die Kriege in Afghanistan und im Irak, für einen neuen Imperialismus. Dass die Verbrechen von New York, Washington D. C. und Shanksville US-Kapitalisten selbst Schäden in Höhe von mehreren hundert Milliarden Dollar beigebracht haben, wird – weil unpassend – ausgeblendet.

Bei dieser Wahrnehmung treffen sich Linke und Rechte punktgenau. Unter Rechtsradikalen ist jedwede Theorie verschwörerischer Art zum 11. 9. besonders populär, weil diese ihrem Feindbild USA perfekt entgegenkommt – sie hassen die ethnische Vielfalt Amerikas und noch mehr den Erfolg jüdischer US-Bürger.

Deshalb wird auch die These vom Mossadattentat und von Juden, die am 11. 9. im World Trade Center angeblich nicht zur Arbeit erschienen (weil vorgewarnt), besonders gerne breit getreten. Dieser platte Antisemitismus ist den Dumpflinken dann doch etwas zu schmuddelig – obwohl auch Mathias Bröckers und Andreas von Bülow Anleihen daraus beziehen.

Der besondere Erfolg der Verschwörungstheoretiker über die reale Verschwörung vom 11. 9. in Deutschland – und Frankreich – erklärt sich schließlich aus der simplen Tatsache, dass die Regierungen beider Staaten den Krieg der USA und Großbritanniens gegen Saddam Husseins Irak abgelehnt haben. Diese durchaus ehrenwerte Position ist offenbar mit dem unangenehmen Nachteil verbunden, dass manche Deutsche und Franzosen jeglichen Erklärungen seitens der US-Regierung keinen Glauben mehr schenken mögen. Wenn schon US-Außenminister Colin Powell bei der Begründung des Irakfeldzugs im UN-Sicherheitsrat so offensichtlich – um es milde zu sagen – die Wahrheit verbogen hat, liegt der Gedanke nicht allzu fern, dass gleich der ganze 11. 9. eine riesige Lüge ist.

Die vorgebliche US-Verschwörung entspricht damit klassischen Deutungsmustern. Ihren eigentlichen Charme erhält sie aber erst, weil damit das eigene Denken bestätigt und zugleich eine viel kompliziertere Wirklichkeit geleugnet wird.

Kaum ein Mensch ändert gerne über Nacht seine politische Grundüberzeugung. Wenn die USA selbst als Täter identifiziert sind, dann bestätigt das nicht nur das Weltbild manches Zeitgenossen. Dann muss man sich auch keine Gedanken über den wachsenden Islamismus machen. Dann bleiben muslimische Immigranten per se unterdrückte und ausgebeutete Mitbürger – kein Gedanke daran, dass eine winzige Minderheit unter ihnen politischen Sprengstoff im wahrsten Sinne des Wortes darstellen könnte.

Dann sind die Staaten, in denen der politische Islamismus gedeiht und aus denen die Attentäter gekommen sind, nicht möglicherweise in einen Massenmord verwickelte Diktaturen, sondern weiterhin und ausschließlich Opfer des US-Imperialismus. Dann lassen sich sämtliche Gesetzesinitiativen der US-Bundesregierung im Anschluss an den Einsturz des World Trade Centers als plumper Versuch entlarven, die Bürgerrechte einzuschränken.

Schließlich: Dann ist jede Trauer über die mehr als dreitausend Menschen, die am 11. 9. ermordet wurden, unangebracht. Lieber weint man um Al-Qaida-Kämpfer in Afghanistan, die dem brutalen US-Hegemonialstreben zum Opfer gefallen sind.

Doch die Verschwörungstheorie bestätigt nicht nur das eigene Weltbild. Darüber hinaus vermeiden ihre Anhänger eine Auseinandersetzung mit ihrem eigenen individuellen Leben. Angenommen, nicht fanatische Islamisten mit ihren religiös geprägten Vorstellungen einer künftigen Weltordnung, sondern die weitgehend rational agierende US-Administration seien Urheber des 11. 9., dann besteht auch keine Bedrohung für den westlichen Lebensstil, dem wir alle mit großer Freude anhängen.

Die (gelinde gesagt) rigiden Vorstellungen einer ausschließlich durch die Religion geprägten Gesellschaft lassen sich demgemäß als pittoreske Erscheinungsformen einiger besonders heimatverwurzelter Migranten in Berlin-Kreuzberg abbuchen. Eine Gefahr geht von ihnen nicht aus.

Auf diese Weise verliert das Attentat vom 11. 9. ein gut Teil der Bedrohung für die Zukunft. Mit einem Wort: Die Verschwörungstheorie macht das Denken ganz entschieden leichter.

Vor allem aber hilft diese Verschwörungstheorie gegen eines: die eigene Angst. Wenn die Weltlage gar nicht so kompliziert ist, dann muss man auch keine Furcht vor Konsequenzen für das eigene Leben haben. Egal ob Giftgas, schmutzige Bomben oder TNT-Sprengstoff in Berlin, Düsseldorf oder auf Mallorca: Alle diese Horrorszenarien werden bedeutungslos, wenn deren Urheber unter derselben Adresse identifiziert sind wie die Mörder von Ground Zero.

Tatsächlich blieben viele Details des 11. 9. bis heute ungeklärt. Weder konnten alle Geldströme vor dem Attentat vollständig rekonstruiert werden, noch ist eindeutig festgestellt, inwieweit die Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta selbstständig, auf Anweisung oder lediglich mit Billigung der Führung von al-Qaida agiert hat. Viele mutmaßliche Helfer sind bis heute nicht identifiziert. Unklar bleibt, inwieweit Teile des saudischen Königshauses durch finanzielle Unterstützung in das Attentat verwickelt sind. Und völlig im Dunkeln stochern wir bei der Frage, ob ein Attentat ähnlicher Größe geplant wird.

Beunruhigende Tatsachen. Doch für manche ZeitgenossInnen kann das Leben wunderbar einfach sein.

KLAUS HILLENBRAND, Jahrgang 1957, taz-Chef-vom-Dienst, hat unter Pace-Flaggen gern an Demos gegen den Irakkrieg teilgenommen