Übergewicht. Zunehmend.

Immer mehr Kinder in Deutschland sind zu dick. Abnehmen ist nicht kinderleicht, aber möglich - Kurse der Verbraucherzentrale Bremen helfen dabei. Pharmaindustrie und Apotheken wollen mit Schlankheitsmitteln für Kinder Geschäfte machen

Ein fast toter Fuß, ein kaputtes Knie, ein müdes Herz. Nein, die Rede ist nicht von den Leiden eines alten Mannes, sondern von den Krankheiten eines dicken Kindes. Immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland haben Übergewicht: Lagen 1984 noch 12 Prozent aller Kinder deutlich über dem Durchschnittsgewicht, sind es heute 20 Prozent. Oder anders gesagt: Jedes fünfte deutsche Kind ist zu dick, Tendenz zunehmend.

Das Übergewicht hat verheerende Folgen für die jungen Körper: Durchblutungsstörungen in Händen und Füßen, Gelenk- und Rückenbeschwerden, Herz- und Kreislauferkrankungen, sogar Alters-Diabetes stellen sich bei manchen schon in jungen Jahren ein.

Den Grund für die zunehmende Verfettung des Nachwuchses sehen Mediziner in falscher Ernährung und zu wenig Bewegung. Sportwissenschaftliche Studien zeigen, dass Kinder heute nur noch 30 Minuten pro Tag körperlich aktiv sind – eigentlich sollten sie sich zwei bis drei Stunden täglich austoben. Gleichzeitig enthalten viele Lebensmittel viel mehr Energie als in einer halben Stunde Sport verbrannt werden könnte. Die Folge: FastFood, Snacks und Soda lagern sich in immer schwereren Ringen an den Hüften an.

„Es ist aber nicht nur, was die Kinder essen, sondern auch wie sie essen“, sagt Gertraud Huisinga von der Verbraucherzentrale Bremen. Sie ist Ernährungswissenschaftlerin und leitet Kurse für übergewichtige Kinder und Jugendliche. Eine wichtige Ursache für das Übergewicht vieler Kinder ist ihrer Ansicht nach der Stellenwert, den Essen heute in vielen Familien einnimmt. „Oft wird gar nicht mehr gemeinsam gegessen, weil beide Eltern berufstätig sind. Die Kinder gehen dann mittags in den Supermarkt und kaufen sich Chips und Cola, ein gemeinsames Abendessen findet nicht statt.“

In den Kursen der Verbraucherzentrale geht es daher nicht nur um gesundes Nahrungsmittel und Sport. Kinder und Eltern sollen auch lernen, wieder zusammen zu essen, eine Mahlzeit zu zelebrieren.“

Sechs Monate dauert ein Kurs für übergewichtige Kinder bei der Verbraucherzentrale. Sechs Monate, in denen die Kinder darüber sprechen, aus welchen Gründen sie essen: aus Frust, aus Langeweile, aus Stress. Aus Hunger? Sechs Monate, in denen sie erfahren, dass Vollkornbrot gesünder ist als Toast und ein Stück Obst am Tag nicht schadet. In denen sie Sport treiben. Und vielleicht ein wenig abnehmen.

Es ist ein langer Weg zum Normalgewicht, für manches dicke Kind zu lang: Immer mehr greifen daher statt zu Apfel und Banane zu Schlankmachern und Diätpillen. Pharmaindustrie und Apotheken freut‘s. Bei einem Test des ARD-Magzins Plusminus waren von 16 Apotheken zehn bereit, Schlankheitsmittel für Kinder zu verkaufen. Dabei halten Wissenschaftler viele der teuren Präparate für wirkungslos. „Das ist so richtig unseriös“, sagt Huisinga und glaubt dennoch, dass Diätprodukte ein Markt mit Zukunft sind. „Je mehr Kinder übergewichtig sind, desto größer wird das Angebot mit Diätprodukten speziell für Kinder werden.“

Ein Trost schließlich bleibt den Kindern mit Übergewicht: Dicksein macht nicht mehr notwendiger Weise einsam. „Außenseiter sind dicke Kinder heute oft nicht mehr“, sagt Huisinga. „Bei vielen ist das kein Problem, weil ja die Freundinnen und Freunde auch alle dick sind.“ Dorothea Siegle

Infos unter Tel. 0421 / 1607754