„Hier ist Land unter“

Die taz lässt streiten: Sind die angekündigten drastischen Kürzungen im Sozialbereich, die Blinde, Aidskranke und andere hilfsbedürftige Menschen treffen, zu verantworten? Gibt es wirklich keine Alternativen? Karoline Linnert (Foto links), Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Bürgerschaft, gegen SPD-Sozialsenatorin Karin Röpke (rechts)

Bürgermeister Henning Scherf hat erklärt, auch die Sozialsenatorin müsse mit ihrem Taschengeld auskommen. Und das wird zweimal um fünf Prozent gekürzt, obwohl die Sozialhilfeausgaben steigen.

Karin Röpke: Bei Arbeit und Gesundheit kriegen wir das – mit Schmerzen – einigermaßen hin. Aber der ganze Komplex der Sozialleistungen ist besonders schwierig, weil die Annahmen, nach denen vor Jahren das Budget bemessen ist, einfach nicht mehr stimmen. Hinzu kommen Faktoren, die damals nicht hinreichend gesehen wurden: Es gibt mehr ältere behinderte Menschen, mehr Menschen in Pflege.

Herr Scherf scheint kein Mitleid mit Ihnen zu haben und Sie selbst haben ja auch gesagt, dass wahrscheinlich noch mehr geschlossen werden müsste.

Röpke: Weitere Streichungen würden in der Folge einen sozialpolitischen Kahlschlag bedeuten, den hier keiner wollen kann.

Was würde denn Karoline Linnert als Sozialsenatorin machen, wenn es zu Rotgrün gekommen wäre?

Karoline Linnert: Die Scherf-Linie, dass man das Ziel des verfassungskonformen Haushalts aufrechterhält, ist zur Leitlinie der Koalitionsverhandlungen geworden. Das allerdings wäre mit den Grünen nicht passiert. Jeder normal denkende Mensch weiß, dass man das nicht erreichen kann, ohne hier einen Riesen-Flurschaden anzurichten oder den Haushalt mit riesigen Schattenhaushalten zu fälschen. Wir sollten eingestehen, dass ein verfassungskonformer Haushalt nicht zu erreichen ist. Da hat Frau Röpke eine wichtige Funktion. Ich würde von ihr verlangen, dass sie öffentlich erklärt: So geht es nicht.

Tun Sie das, Frau Röpke?

Röpke: Es ist richtig, den verfassungskonformen Haushalt 2005 anzustreben. In unserer Situation als Haushaltsnotlageland bleibt uns doch gar nichts anderes übrig. Sonst haben wir keine Chance bei Bund und Ländern, wenn wir dafür eintreten, weitere Unterstützung zu bekommen.

Indem Sie aber weiter zu diesem Ziel stehen und von Sparen reden, wo nichts mehr zu sparen ist, nehmen Sie billigend in Kauf, dass beispielsweise die CDU so tun kann, als sei bei Sozialhilfeempfängern noch was zu holen.

Röpke: Überhaupt nicht. Wir sind ja sofort dagegen angegangen. Und ich finde diese Stimmungsmache unerträglich. Letztlich zeigt das auch, dass die CDU keine Antwort hat.

Linnert: Und keine Hemmungen

Röpke: Aber eben auch keine Antworten. CDU-Fraktionschef Jörg Kastendiek macht es sich sehr einfach und unterstellt, dass ein Großteil der Sozialhilfeempfänger Betrüger seien – so geht es überhaupt nicht. Der ganz überwiegende Teil der Menschen braucht unsere Hilfe, will arbeiten, hat aber keine Chance.

Linnert: Die Grünen sind nicht dafür, sich von der Sparpolitik zu verabschieden. Aber man kann die Schraube nicht jedes Jahr weiterdrehen. Beim Stichwort Verwaltungsvereinfachung fallen mir viele Bereiche ein, die in zwei, drei, vier Jahren umbaubar sind und wo sich sparen ließe – aber eben mit mittelfristiger Perspektive, nicht kurzfristig. Also: Wahrheit, Klarheit und Ehrlichkeit gegenüber der Bevölkerung und allen anderen Gebietskörperschaften. Mit den anderen Bundesländern müssen wir über die Verschuldung aller Gebietskörperschaften verhandeln. Die bringt ja alle um die politischen Gestaltungsspielräume. Es wäre besser, wenn das noch mehr Bundesländer begreifen würden. Wir brauchen eine gerechtere Steuerverteilung. Da allerdings ist das Festhalten am verfassungskonformen Haushalt eher hinderlich, weil er die Illusion aufrechterhält, dass die Dinge anders lägen, als sie sind.

Röpke: Wo sehen Sie denn die Chance, mit einer solchen Strategie auf offene Ohren bei anderen Bundesländern zu stoßen? Im Moment kämpft jedes Bundesland für sich. Wir brauchen doch die Unterstützung und Solidarität der anderen Länder.

Linnert: Wenn man die anderen davon überzeugen will, dass hier Land unter ist, muss man doch erst mal reinen Wein einschenken.

Die Strategie hier ist doch eine andere: Die Länder sollen nicht zahlen, sondern über den Kanzlerbrief wird der Bund gefordert.

Linnert: Wer nimmt diesen Schnickschnack denn noch ernst? Das war ein Riesenmanöver der CDU gegen die SPD und die fällt auch noch drauf rein. Statt zu sagen, es geht uns genauso schlecht wie beispielsweise Schleswig-Holstein, wedeln die Bremer die ganze Zeit mit ihrem Kanzlerbrief.

Röpke: Schleswig-Holstein hat eben keinen Kanzlerbrief!

Linnert: Tolle Strategie.

Röpke: Wir haben einen Brief vom Kanzler, in dem er uns Unterstützung zusagt. Wir wären doch politisch blöd, wenn wir das nicht in die Waagschale werfen würden.

Linnert: Der Bundeskanzler ist der Meinung, dass er uns schon geholfen hat.

Röpke: „Klarheit und Wahrheit“ allein hilft uns nicht. Ich kann nicht erkennen, dass beim Bund oder bei den Ländern große Bereitschaft wäre, uns Bremer zu unterstützen. Wir müssen uns weiter anstrengen und klarmachen, dass wir alles dafür tun, unsere Selbstständigkeit aus eigener Kraft zu bestreiten, soweit uns das möglich ist – diese Strategie ist absolut nachvollziebar.

Linnert: Aber dann müssen Sie doch jeden vierten Kindergarten dichtmachen, um der ganzen Republik zu zeigen, wie wahnsinnig wir uns anstrengen.

Röpke: Über solcherlei Plattheiten Mitleid zu erzeugen, kann der Weg nicht sein. Aber die Strategie, unter Beweis zu stellen, dass wir alles dafür tun, unser Ziel zu erreichen und dann nochmal auf Bund und Länder zuzugehen, diese Strategie halte ich für alternativlos.

Wenn man nun im Sozialbereich sparen muss, wo wäre das?

Röpke: Ich werde mich dazu hier nicht äußern. Ich halte es für unklug, mitten in den Eckwerte-Beratungen Konkretes zu sagen.

Sie wollen also nicht sparen.

Röpke: Das stimmt nicht. Wir haben doch schon schweren Herzens Vorschläge gemacht, die stehen im Koalitionsvertrag.

Frauengesundheitszentrum, Aids-Hilfe – das sind doch Peanuts.

Röpke: Bitte?! Da geht es immerhin um acht Millionen und dazu zählt die Streichung des Landespflegegelds, des Behindertenfahrdiensts, die Reduzierung der Bekleidungspauschale und noch vieles mehr. Und wie gesagt: Weitere Vorschläge, wie wir Sozialleistungen reduzieren könnten, sehe ich überhaupt nicht – da ist bundesgesetzlich nichts mehr möglich.

Linnert: Über mehrere Jahre könnte man sicherlich hier und dort Bürokratie abbauen hinkriegen. Ein Paradebeispiel ist, dass Eltern oder Kinder zum Unterhalt von Sozialhilfeempfängern herangezogen werden, auch wenn dabei so gut wie nichts herauskommt. In Fragen der Sozialhilfe hat der Kontrollwahn der großen Koalition dazu geführt, dass Geld für Papierkriege verschleudert wird. Das Personal könnte man anderswo einsetzen. In den Sozialzentren zum Beispiel. Sparen könnte man auch im Bereich der Obdachlosenhilfe. Es gibt Leerstände bei den Wohnungsbaugesellschaften, und trotzdem sind unsere Unterkünfte voll. Der Abbau von Belegwohnungen durch das Ressort wird das Problem weiter verschärfen.

Röpke: Es macht aber auch keinen Sinn, Leerstände zu finanzieren. Das hat uns ja dazu gebracht, die Belegwohnungen zu reduzieren. Da reagieren wir dem Bedarf angemessen. Und die Wohnungsbaugesellschaften haben ihre eigenen Interessen. Da müssen wir einen gemeinsamen Weg finden.

In bestimmten Bereichen soll es sogar mehr Geld geben. Etwa für die Bildung an den Kindergärten.

Röpke: Dafür sind wir angetreten. Wir wollen den Weg fortsetzen, den wir im vergangenen Jahr beschritten und wobei wir erste Maßnahmen beschlossen haben – Sprachförderung, Leseluststeigerung, Qualifizierung der Erzieherinnen. Das geht aber nicht ohne personelle Verstärkung.

Wird es dafür Unterstützung aus dem Senat geben?

Röpke: Im Prinzip teilen die Kollegen diese Auffassung. Was daraus konkret wird, kann ich zurzeit noch nicht abschätzen. Ich hoffe sehr, dass die Einsicht siegen wird.

Nach der Senatsklausur hat es keine konkreten Ergebnisse gegeben – hat Karoline Linnert Recht, wenn sie sagt, dass im Senat nur ein Hauen und Stechen ist und es keine produktive Arbeit gibt?

Röpke: Worin ich Frau Linnert zustimme, ist, dass der Senat es leisten muss, ein Gesamtpaket auf den Weg zu bringen. Wir sind gezwungen, diesen Haushalt gemeinsam zu wuppen. Einzelne können sich nicht davonstehlen. Dass jeder seine Position vertritt, ist doch klar. Ich hoffe sehr, dass wir etwas Gemeinsames auf den Weg bringen.

Wie groß ist die Hoffnung?

Röpke: Wir haben gar keine Alternative.

Linnert: Und dabei gehen die Ungerechtigkeiten fröhlich weiter. Bremen soll künftig ein Musical betreiben, die BIG kriegt einen Aufschlag dafür, dass sie den Technologiepark managt – wofür sie doch immer schon zuständig war! Da erzählen Sie, Frau Röpke, was von Einigkeit. Ist das die Politik aus einem Guss?

Röpke: Natürlich müssen auch die Gesellschaften ins Sparen einbezogen werden. Und es kann nicht sein, dass der Wirtschaftssenator eine privilegierte Stellung im Vergleich zu anderen Bereichen hat.

Linnert: Aber der Wirtschaftssenator hat es doch schon geschafft: Das Anschluss-Investitionsprogramm ist ja jetzt schon verfressen. Das heißt, die rechtlichen Bindungen im Wirtschaftsressort sind so, dass sich gar nicht mehr sparen lässt. Dahingegen muss der Sozialhaushalt Jahr für Jahr aufs Neue erstellt werden. Das hat die Bürgerschaft sehenden Auges so beschlossen. Deshalb wird sich das Gerede von sozialer Gerechtigkeit nicht verwirklichen lassen. Denn diejenigen, die hier sowieso die stärkste Lobby haben und denen die große Koalition versprochen hat, sie mit Investitionsmaßnahmen gut zu bedienen, die haben ihre Schäfchen doch längst im Trockenen.

Röpke: Das wollen wir mal abwarten. In der Koalitionsvereinbarung steht, dass alle Investitionen auf den Prüfstand kommen. Und das gilt auch für die schon beschlossenen. Da erwarte ich, dass mit gleichem Maß gemessen wird. Dass unsere Investitionsanmeldungen im Krankenhausbereich beispielsweise die gleichen Chancen haben wie Anmeldungen aus Bau oder Wirtschaft. Dafür werde ich kämpfen.

Wenn aus Investitionsmitteln der Lohn für einen Technologiepark-Manager bezahlt werden kann, warum nicht auch Zweitkräfte für die Kindergärten?

Röpke (lacht): Gute Idee.

Linnert: Das wird einen langen Vortrag über „investiv“ und „konsumtiv“ geben. Herrn Perschau würde ich das nicht fragen.

Wenn die Senatorin vor Sozialhilfeempfängern erklären soll, warum das Landespflegegeld gestrichen wird, aber die Trainingsbahn weitere Zuschüsse kriegt – was würde sie sagen?

Röpke: Tja. Das ist ...

Linnert: ... gemein!

Röpke: Genau. Aber im Ernst: Wir müssen die Linie „Sparen und Investieren“ durchhalten. Wir können an der einen oder anderen Stelle fragen, ob das Geld gut angelegt ist – das soll ja die genannte Klausel bei den Investitionen sicherstellen. Dass Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden. Anders kann man das nicht erklären.

Herr Scherf hat neulich gesagt, er denke darüber nicht nach – aber was ist denn, wenn es 2005 keinen verfassungskonformen Haushalt gibt?

Linnert: Nichts.

Dafür ist dann aber viel Infrastruktur zerschlagen worden.

Röpke: Die harten Einschnitte, die anstehen, belasten mich sehr, auch persönlich. Was nach 2005 ist, kann im Moment keiner beantworten. Wir gehen davon aus, dass wir es hinkriegen, einen verfassungskonformen Haushalt aufzustellen. Fragen: Susanne Gieffers
, Klaus Wolschner,Fotos: Stefan Bargstedt