Strom von der Halde

Hamburger Stadtreinigung betreibt Windpark auf Hausmülldeponie. Ernte reicht für 900 Haushalte. Das Projekt soll sich innerhalb von zehn Jahren amortisieren, da der Strom gemäß EEG vergütet wird

Lerchen zwitschern in luftiger Höhe. Wind streicht durch Gräser und Weidenbüsche. Dass unter dem etwa 36 Meter hohen Hügel in der niedersächsischen Gemeinde Neu Wulmstorf, am südwestlichen Stadtrand von Hamburg, zwei Jahrzehnte lang der Hausmüll von Harburg eingelagert wurde, ist kaum noch zu erkennen. Und oben auf den Kuppen der künstlichen Erhebung drehen sich – weit über die norddeutsche Tiefebene hinausragend – seit mehr als zwei Jahren die Flügel dreier Windkraftanlagen. „Wie Könige“, schwärmt Tilmann Wolfsteller, Mitarbeiter der Hamburger Stadtreinigung. Er ist zusammen mit Joachim Timm und Rainer Martens von der firmeninternen Abteilung „Bau- und Anlagentechnik“ verantwortlich für den noch jungen Geschäftsbereich des Hamburger Unternehmens, das in Sachen erneuerbare Energien in der Entsorgungsbranche sicherlich zu den Pionieren gehört.

„Wir haben rund 2,3 Millionen Euro in die Errichtung der Windkraftanlagen investiert“, erzählt Tilmann Wolfsteller. Eine Investition, die sich bezahlt machen wird. So produzierten die drei 600-Kilowatt-Anlagen des Lübecker Herstellers DeWind im Jahre 2002 etwa 1,9 Millionen Kilowattstunden Strom. Dabei wird in den nächsten Jahren ein noch höherer Output erwartet, weil aufgrund zweier Getriebedefekte zwei der Mühlen für längere Zeit stillstanden. Wolfsteller rechnet damit, dass sich das Windkraftprojekt innerhalb von zehn Jahren amortisiert, da die Vergütung des Windstroms nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) für 20 Jahre mit 9,1 Cent festgeschrieben ist.

Bevor allerdings diese Idee Ende der 90er-Jahre zu einem konkreten Projekt heranreifen konnte, musste die Stadtreinigung auf der 32 Hektar großen Altdeponie ihre Hausaufgaben machen – entsprechend der TA Siedlungsabfall. Für die Sanierungsmaßnahmen gab die Stadtreinigung bis 1997 rund 32 Millionen Euro aus. Darin enthalten ist auch die Installation einer Deponiegasanlage, bei der 122 Gasbrunnen in den bis zu 30 Meter tiefen Müllkörper gebohrt wurden. Neun Sammelstationen führen das entweichende Deponiegas weiter zu einem Blockheizkraftwerk (BHKW), wo ein 300 Kilowatt leistender Gasmotor Strom und Wärme erzeugt. Während der Strom ins Netz des regionalen Stromversorgers EWE eingespeist wird, nutzt man einen Teil der Wärme für das neu erbaute Niedrigenergiehaus am Rande der Altdeponie. Dies dient heute als Wohnhaus und als Büro für den Deponiemeister Rainer Martens. Er ist zuständig für den Betrieb des BHKWs und kontrolliert ständig die Wasserwerte in und an der Altdeponie. „Wir haben keinen Niederschlagseintrag mehr im Müllkörper“, zeigt sich Martens zufrieden. Für den Bau der Windkraftanlagen gaben die Entscheidungsgremien der Stadtreinigung nach langen internen Diskussionen Ende der 90er-Jahre grünes Licht. „Wir können das nur machen, wenn es sich rechnet“, so Wolfsteller. „Mit dem EEG kam dann der entscheidende Schub, um die Idee umzusetzen.“

Damit begann für Tilmann Wolfsteller und Joachim Timm eine nervenaufreibende Planungsphase. Denn obwohl die Gemeinde Neu Wulmstorf den südlichen Deponieteil als Vorrangfläche für Windenergie auswies, musste eine drei Hektar große Ausgleichsfläche für bodenbrütende Vögel geschaffen werden. Eine weitere Hürde war zu nehmen, als die Baugenehmigung zwar vorlag, aber sich herausstellte, dass die Grenzabstände im Flächennutzungsplan vom Landkreis falsch berechnet waren. Deshalb weist heute eine der Windkraftanlagen nur eine Nabenhöhe von 55 Meter statt der geplanten 70 Meter auf.

Technisches Neuland war die Gründung der Anlagen. „Wir haben den Boden verdichtet und uns schließlich für ein 14 Meter durchmessendes Fundament entschieden. Gewöhnlich empfiehlt der Hersteller für diesen Anlagentyp drei Meter weniger“, berichtet Joachim Timm. Dafür kam der Netzanschluss für die Trafos günstig, da der Versorger EWE im eigenen Interesse eine neue Stromleitung quer durch das Altdeponie-Gelände legte und dadurch selber Kosten sparte. Als schließlich alle Vorarbeiten vollbracht waren, verzögerte sich obendrein auch noch die Auslieferung der 600-kW-Anlagen. Und als sie dann im Januar 2001 auf dem grünen Hügel endlich errichtet waren, sorgten defekte Getriebe zu allem Überdruss zunächst einmal für Ärger.

Trotz alledem: Die Stadtreinigung liefert nun auf einer ansonsten ungenutzten Fläche umweltfreundlichen Windstrom für zirka 900 Haushalte und entlastet damit die Umwelt jährlich von 3,5 Millionen Kilogramm Kohlendioxid. Müsste ein Kohlekraftwerk diese Menge Strom liefern, würde eine Kohlemenge verfeuert, die einem Güterzug mit 105 beladenen Waggons und einer Länge von 1,5 Kilometern gleichkäme.

Es schlummern noch weitere Energiepotenziale auf dem grünen Hügel. Besonders am Südhang, der auffällig frei von Buschbewuchs ist und ein Gefälle von sieben Prozent aufweist, könne man sich eine Photovoltaikanlage vorstellen. „Erste Überlegungen gibt es schon, vielleicht auf einem Hektar in bester Südlage“, verrät Joachim Timm vorsichtig, „die Firma Solarworld sagte uns, dass sich das rechnen würde.“ Auch über die Verwertung von Speiseabfällen in einer Vergärungsanlage, die das bestehende BHKW mit Biogas beschicken würde, wird nachgedacht. Der grüne Hügel hat es also nicht nur in sich, sondern vielmehr auf sich. DIERK JENSEN