Von wegen „nicht sexy“ …

Technischer Vertrieb klingt nach Langeweile, weil sich kaum jemand darunter etwas vorstellen kann. Das Berufsbild beinhaltet lebenslanges Lernen, Verantwortung und gute Verdienstmöglichkeiten. Ein Feld für Quereinsteiger – mit Ingenieurausbildung

VON MARTIN KALUZA

Es gibt Berufsbezeichnungen, die klingen alles andere als sexy. Vertriebsingenieur ist so ein Beispiel. Den Ingenieur stellt man sich als eher unspektakulären Tüftler vor, und Vertrieb – war das nicht einfach ein freundlicher Ausdruck für zähes Klinkenputzen? Nur wenige können sich überhaupt etwas unter dem Beruf vorstellen, und kaum ein Student nimmt sich schon zu Beginn seiner Ausbildung vor, Vertriebsingenieur zu werden. Die rund 100.000 Vertriebsingenieure in Deutschland arbeiten sozusagen hinter den Kulissen: in der Investitionsgüterindustrie, im Zulieferbereich, vor allem in mittelständischen Betrieben. Besonders sexy klingt das wieder nicht, aber neudeutsch kann man zur Zulieferindustrie auch Business-to-Business-Sektor sagen. Oder noch besser: B2B.

„Dass ich in den technischen Vertrieb gerutscht bin, war eher ein Zufall“, erinnert sich Erik Nagel. Nachdem er vor zehn Jahren sein Maschinenbaustudium abgeschlossen hatte, fand er als frisch gebackener Ingenieur Arbeit bei einer Firma, die technische Gase herstellte. Eigentlich hatte sich Nagel gedacht, dass er dort vor allem mit Planung und Projektierung zu tun hätte. Doch dann stellte sich heraus, dass viel Kundenkontakt dazugehörte. Heute arbeitet er bei der Siegling GmbH, einem Hersteller für Transport- und Förderbänder in Hannover, und kümmert sich als Abteilungsleiter darum, dass zu den technischen Produkten der Firma die richtigen Dienstleistungen entwickelt werden, zum Beispiel Wartungsverträge.

Nagels Gebiet sind Geräte für die Konfektionierung von Förderbändern. Fast immer haben die Kunden besondere Vorstellungen, wie solche Transportbänder speziell für ihre Zwecke aussehen müssen. Weil von der Entwicklungsabteilung niemand erwartet, sich direkt mit den Kunden abzusprechen, wird ein Vermittler aus dem Vertrieb gebraucht. Erik Nagel war als Quereinsteiger in diesen „kundennahen Bereich“ hineingeraten. Heute sagt er: „Ich kann mir nicht mehr vorstellen, nur in der Entwicklung oder in der Produktion zu arbeiten.“ Und auch das Gehalt stimmt. Ein guter Vertriebsingenieur im Außendienst verdient zwischen 55.000 und 70.000 Euro im Jahr.

Quereinsteiger sind im technischen Vertrieb keine Ausnahme – vor allem solche, die sich mit Technik auskennen. Das liegt daran, dass die Produkte und Leistungen der Investitionsgüterindustrie so komplex sind. Die sprichwörtliche Verkaufskanone wäre hoffnungslos überfordert, wenn sie ein Heizkraftwerk oder Getriebebauteile an den Mann bringen müsste. Solche Güter müssen aufwändig erklärt werden, Spezialmaschinen und Großanlagen werden oftmals nur für einen Kunden nach genauen Vorgaben gebaut. Um überhaupt mit dem Einkäufer reden zu können, muss sich der Vertriebsmitarbeiter mit der Technik auskennen. So gesehen ist der Ingenieur dort der richtige Mann. Allerdings fehlt es ihnen oft am kaufmännischen Handwerkszeug.

„Ich hatte das Gefühl, irgendetwas fehlt dir“, erinnert sich auch Nagel. Im Maschinenbaustudium wurden betriebswirtschaftliche Dinge nur angekratzt, Marketing war überhaupt kein Thema. Der Maschinenbauer begann, sich nach Weiterbildungsmöglichkeiten umzusehen, und wurde schließlich an der Freien Universität in Berlin fündig. Als berufsbegleitendes Fernstudium wurde das „Weiterbildende Studium Technischer Vertrieb“ schon 1985 dafür eingerichtet, Ingenieuren mit Berufserfahrung Marketingwissen und eine unternehmerische Denkweise zu vermitteln. Am Ende des einjährigen Studiums, das kürzer und spezialisierter ist als ein MBA-Studiengang, halten die Absolventen mit dem Master of Business Marketing (MBM) einen international anerkannten Abschluss in der Hand. Für Nagel war dies genau, was er gesucht hatte: „Früher hatte ich gewisse Entscheidungen aus dem Gefühl heraus getroffen. Jetzt kann ich sie begründen.“

Nicht zuletzt sind solche Fortbildungen auch Signale auf dem Arbeitsmarkt. Zum einen werden Vertriebsingenieure händeringend gesucht. „Zwischen 30 und 40 Prozent der Ingenieursstellen, die etwa in den VDI- Nachrichten oder in der FAZ ausgeschrieben werden, sind vertriebsnah“, schätzt Hans-Dieter Moll vom Fachbereich Technischer Vertrieb des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). Zum anderen bedeutet eine solche Weiterbildung für die meisten Absolventen einen beruflichen Aufstieg bis hin zu Geschäftsführerpositionen. Dafür greifen die angehenden Vertriebsprofis mitunter tief in die eigene Tasche. 10.000 Euro kostet beispielsweise das Weiterbildungsstudium an der FU Berlin.

Nachdem sie das Thema lange stiefmütterlich behandelt hatten, erkennen inzwischen auch andere Hochschulen den Bedarf und wollen künftig mehr Marketing bereits in die Erstausbildung der Ingenieure aufnehmen. Moll prophezeit bereits einen Wandel des Berufsbildes: „Man kann davon ausgehen, dass Ingenieure in Zukunft nicht mehr das Gefühl haben, dass sie im Vertrieb ihren eigentlichen Bereich verlassen.“ Doch bis das der Fall ist, sind Ingenieure vor allem auf Weiterbildungen angewiesen. Michael Kleinaltenkamp, Marketingprofessor und Leiter des Vertriebsstudiums an der FU Berlin, sagt: „Zwar steigen die Anforderungen an Ingenieure im Vertrieb stetig. Doch andererseits ist das Feld dankbar, und Qualifikationen zahlen sich aus.“