Große und Kleine gleichberechtigt

Genossenschaften sind keine kuscheligen Solidaritätszirkel. Zunehmend kommen Mittelständler auf den Trichter. Berlin fördert beschäftigungsorientierte Unternehmen

BERLIN taz ■ Jedes Jahr werden in Deutschland 50 bis 80 neue Genossenschaften gegründet. Mit kuscheliger Solidarwirtschaft hat das nicht viel zu tun. Die ökonomischen Grundlagen einer Kooperative sind die gleichen wie bei anderen Unternehmen: Sie überlebt nur, wenn es einen Markt, ein gutes Produkt und ein fähiges Management gibt.

Ziel einer Genossenschaft ist nach Paragraf 1 des entsprechenden Gesetzes die wirtschaftliche Förderung der Mitglieder. Dabei kann es sich sowohl um natürliche als auch juristische Personen handeln. Zur Gründung einer Genossenschaft sind mindestens sieben Personen erforderlich – eine Anzahl, die von vielen ExpertInnen als ungünstig hoch eingeschätzt wird. Die Geschäfte führt ein Vorstand, der von einem starken Aufsichtsrat kontrolliert wird. Letzte Instanz ist aber die Generalversammlung aller Mitglieder. Im ihrem Interesse überprüft ein Genossenschaftsverband kontinuierlich die Geschäfte.

Jede Genossin und jeder Genosse zeichnet einen oder auch mehrere Anteile. Egal allerdings wie hoch die jeweilige Einlage ist: Jede und jeder hat nur eine Stimme. Wer aussteigen will, bekommt seinen oder ihren Anteil nach Ablauf einer gewissen Frist zurück.

Genossenschaften sind sehr stabile Unternehmen. Während die Wahrscheinlichkeit, dass eine Aktiengesellschaft Pleite geht, bei über 3 Prozent liegt, sind Genossenschaften fast zehnmal weniger insolvenzanfällig, berichtet Andreas Eisen vom Genossenschaftsverband Norddeutschland.

Früher beschränkten sich Genossenschaften meist auf eine Produktgruppe oder eine Dienstleistung. In letzter Zeit entstehen zunehmend Genossenschaften, in denen sich FreiberuflerInnen und MittelständlerInnen organisieren. Auf diese Weise können sie Aufträge mit komplexen Anforderungen an Land ziehen, die ansonsten nur von Großunternehmen übernommen werden könnten. Auch Fortbildung der Mitglieder, Werbung und Auftragsakquisition werden von solchen Kooperativen übernommen.

Genossenschaften werden bisher von vielen Förderprogrammen ignoriert. Demgegenüber hat der rot-rote Berliner Senat in seinem Koalitionsvertrag explizit festgelegt, dass Produktiv- und Stadtteilgenossenschaften besonders gefördert werden sollen. Seit diesem Frühjahr gibt es deshalb für beschäftigungsorientierte Genossenschaften in der Hauptstadt günstige Existenzgründungsdarlehen.

ANNETTE JENSEN