Barcelona und der Kultursommer

Eine gelungene Ausstellung zur Vielfalt der Kulturen und der globalen Alltagsästhetik: Woraus trinke ich meinen Morgenkaffee? Die Kulturgeschichte von Handfeger und Kehrblech, von Wischmopp und Wasserhahn– weltweit

VON TILL BARTELS

Ein Löffel ist ein Löffel. Nein, keiner gleicht dem anderen. Der eine ist aus Blech gestanzt, der andere aus Aluminium gegossen oder aus Bambus geschnitzt. Das schlichte Exemplar aus pinkfarbenem Plastik liegt neben dem verzierten aus chinesischem Porzellan. Alle Mundwerkzeuge sind feierlich aufgereiht wie Opfergaben auf dem Altar einer Kirche. Tatsächlich befindet sich die Sammlung in einem sakralen Raum, dem Convent dels Àngels. Bis zum ehemaligen Kloster im dunkelsten Viertel Barcelonas, dem Barrio Chino, sind es von den pulsierenden Rambles keine zehn Minuten Fußweg.

Hinter der Kirchentür folgt mit jedem Schritt ein weiterer Fußabtreter: eine Gummimatte, ein Sisalteppich, ein Stück Plastikrasen, ein Dreckabstreifer aus Drahtgeflecht. Das einstige Gotteshaus dient jetzt als Galerie und beherbergt eine der Ausstellungen, die das Sommerspektakel in der katalanischen Hauptstadt, das Forum der Kulturen, über mehrere Monate begleiten.

Das Designzentrum im Kirchenschiff möchte einen Überblick über globale Alltagsästhetik geben, organisiert von der alten Kulturorganisation FAD, dem Foment de les Arts Decoratives. Hier sind Gegenstände der Gegenwart versammelt, die jeder von uns gebraucht, aber nur selten über deren Form und Funktion, Material und Farbe reflektiert. Weil die Vielfalt als Einheit im Mittelpunkt steht, trägt die Ausstellung den Titel „igual_mente_diferentes“.

Der österreichische Industriedesigner Uli Marchsteiner, seit Jahren in Barcelona zu Hause, ist Kurator der Show: einer Kulturgeschichte von Handfeger und Kehrblech, von Wischmopp und Wasserhahn. Zusammen mit dem Fotografen Leo Schatzl hat Marchsteiner zwischen November 2003 und März 2004 die Welt bereist und verwandte Utensilien des täglichen Einerleis gejagt. Ihre Beute: 1.000 Objekte, 15.000 Fotos und 30 Stunden Film.

Aus welchem Behältnis trinke ich den Morgenkaffee? Womit säubere ich meine Hände? Wie hänge ich die Wäsche auf? Jede Kultur hat auf dieselben Fragen ganz unterschiedliche Antworten gefunden. Die Differenz steckt im Detail: 27 Arten von Wäscheklammern werden in dieser Ausstellung gezeigt. Die unkonventionellen Feldforscher haben u. a. die Hygienepraktiken und Essgewohnheiten in Kanada, Mexiko, Brasilien, Marokko, Senegal, Tansania, Indien, China, Japan, Indonesien, Neuseeland und den USA studiert, die Fundstücke sortiert und eine Auswahl in sieben Themengruppen präsentiert. Das Ergebnis ist verblüffend, gerade weil die Initiatoren keinen wissenschaftlichen Anspruch erheben, sondern eine künstlerisch-dokumentarische Bestandsaufnahme wagen, allen Tendenzen der Gleichmacherei zum Trotz. Wie verschieden können bei Kartenspielen Bube, Dame, König und Ass sein. Selbst die neuste Variante für Soldaten im jüngsten Golfkrieg, die „Iraqi most wanted“, fehlt hier nicht. Der Zweck heiligt die Mittel, der kulturelle Kontext bestimmt die Vielfalt des Äußeren.

Die Ausstellung hat bis 30. September täglich außer sonntags von 11–20 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Weitere Infos unter www.igual-ment-diferents.net. Zur Ausstellung „Verschieden und doch gleich“: die Homepage zum Projekt mit Fotos und Texten: www.igual-ment-diferents.net. Foment de les Arts Decoratives: Seit über 100 Jahren organisiert FAD Ausstellungen zu den Themen Kunst und Design: www.fadweb.org. Forum: Viersprachige Homepage des Kultursommers mit Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm www.barcelona2004.org. BCN: Das sehr informative Web-Portal der katalanischen Hauptstadt mit interaktivem Stadtplan: www.bcn.es