„Ein unermesslicher Verlust für die Wissenschaft“

Der Brand in der Anna Amalia Bibliothek hat tausende unersetzlicher Werke zerstört. Der teilweise ausgebrannte Rokokosaal lässt sich dagegen wiederherstellen – für viel Geld

taz: Herr Seemann, die Anna Amalia Bibliothek in Weimar gehört nicht nur zum Weltkulturerbe, sie besitzt auch eine der beeindruckendsten Sammlungen der Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. Welche Bücher sind zerstört worden?

Hellmut Seemann: Wir schätzen, dass 25.000 bis 30.000 Bände aus dem oberen Stockwerk verbrannt sind, leider vor allem historische Bestände bis zum 18. Jahrhundert. Von den 300.000 historischen Bänden sind also zehn Prozent verloren. Bedauerlicherweise muss man sagen, dass der Brandschutz des Gebäudes bislang sehr mangelhaft war.

Goethes private Sammlung wird ja nicht im Rokokosaal aufbewahrt, aber Bestände aus seiner Zeit als Bibliothekar. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

In der Tat, es sind viele Bände zerstört worden, die Goethe benutzt hat. Sie spiegelten die Sammeltätigkeit des herzoglichen Hauses im 18. Jahrhundert. Das kann man jetzt bei weitem nicht mehr in dem Umfang rekonstruieren wie bisher. Das ist wahrscheinlich der schlimmste Verlust durch den Brand. Es sind also nicht nur vom materiellen, sondern auch vom ideellen Gesichtspunkt her unersetzliche Bestände für immer verloren.

Sind auch andere wertvolle Privatbibliotheken zerstört worden?

Nein. Die sind alle in anderen Gebäuden untergebracht. Betroffen ist besonders die Bibliothek von Daniel Schurzfleisch, der schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts seine große alte Sammlung dem Herzogtum verkaufte. Verloren haben wir auch eine ganze Reihe von Büchern, die Anna Amalia selbst gehört haben und die nach ihrem Tod in die Sammlung eingearbeitet wurden.

Wie die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel oder die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz gehört die Anna Amalia Bibliothek zu den großen historischen Sammlungen. Gemeinsam ersetzen sie eine Nationalbibliothek. Was bedeuten die Schäden für die Forschung?

Die ist zurzeit natürlich nur stark eingeschränkt möglich. Zum Glück sind aber zentrale Bestände wie die Faust-Sammlung, die List- und die Nietzsche-Bibliothek nicht betroffen. Die Schäden an den historischen Beständen sind allerdings ein unermesslicher Verlust für die Wissenschaft.

Das Gebäude der Bibliothek selbst, das „Grüne Schloss“ mit dem berühmten Rokokosaal, zählt zu den schönsten Gebäuden des klassischen Weimar. Wie groß sind die Schäden?

Die zweite Galerie des Rokokosaals ist zerstört, das Erdgeschoss und die erste Galerie sind erhalten und trotz der Wasserschäden vollständig wiederherstellbar. Die ganze Nacht haben wir noch gefürchtet, das Dach würde einstürzen, aber das ist, Gott sei Dank, nicht passiert.

Nun wurde das Gebäude gerade saniert, weil es 1989 ziemlich verrottet war. Das Feuer macht die bisherigen Sanierungspläne zu Makulatur – und die waren noch nicht einmal abschließend finanziert. Wie wollen Sie nun den Wiederaufbau bezahlen?

Jetzt ist die Sanierung natürlich viel aufwendiger als vorher. Heute Morgen habe ich schon mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Allianz, Herrn Schulte-Noellen, gesprochen, weil das Unternehmen Teile der Sanierung finanziert. Und er hat Unterstützung zugesagt. Außerdem ist auch Kulturstaatsministerin Weiss gleich nach Weimar gekommen und hat versprochen, dass der Bund zügig mit bis zu vier Millionen Euro helfen will, um Haus und Bücher zu restaurieren. INTERVIEW: DANIEL HAUFLER