Kecke Kontrolleure

Nach dem 0:1 in Dortmund hofft Freiburg, den letzten Sieg der Atom- über die Naturenergie verantwortet zu haben

DORTMUND taz ■ Dortmunder haben Probleme! Pressesprecher Josef Schneck rechnete am Samstag mit drohendem Unterton vor, wie hoch der Anteil der tatsächlich journalistisch arbeitenden Menschen im Medienraum des BV Borussia Dortmund gewesen sei: Etwas um die 90 Prozent, was kein schlechtes Ergebnis ist. Und nächstes Mal werden die Kontrollen noch strenger sein!

Volker Finke war schon in eine Art Trauerphase über eine verpasste Gelegenheit eingetaucht, da fiel Herrn Schneck noch ein, dass es ja ein Spiel voller Power war: Eon gegen Naturenergie. Das hätte er so nicht sagen dürfen, denn seinem Hauptsponsor ist der Trainer des SC Freiburg loyal und aus Überzeugug verbunden, denn schließlich hat er ihn selbst mit ausgesucht: „Aber“, entgegnete Volker Finke also und drückte das Kreuz durch, „das war der letzte Sieg der Atom- über die Naturenergie.“

Das ist längst nicht mehr bloße Utopie, auch wenn der schwarze Ministerpräsident des tiefschwarzen Baden-Württemberg im grün regierten Freiburg neulich zwei nagelneuen Windrädern am Hausberg die Genehmigung entzogen hat. Kämpfen, Freiburg, kämpfen!, möchte man rufen. Und nicht den Mut sinken lassen, auch wenn den anderen hin und wieder ein Erfolg in der Schoß fällt. So wie den Borussen am Samstagnachmittag, als ein toller Diagonalschuss von Ewerthon reichte, um den Freiburgern die Luft rauszulassen. Ein Schuss von der Sorte, der bei zehn Versuchen neunmal im Fangnetz landet, wie der fleißige Freiburger Verteidiger Oumar Kondé hinterher lamentierte.

Eine ereignislose Halbzeit lang hatten sich im mit 78.000 Zuschauern besetzten Westfalen-Stadion zwei Mannschaften weitgehend neutralisiert, dann fiel dieses Tor in der 68. Minute in einer Phase, als die Freiburger völlig unbeeindruckt von der kathedralen Atmosphäre das Spiel keck kontrollierten. Das können in Dortmund nicht viele Gästeteams von sich behaupten. „Wenn mir in der 65. Minute jemand gesagt hätte, das Spiel geht unentschieden aus, dann hätte ich mich geärgert“, gab Volker Finke zu. Da wollte der Freiburger Trainer längst mehr.

Dortmund verteidigte zu diesem Zeitpunkt wacker das null zu null, was angesichts der prekären Personalnot, die durch die frühe Schulterverletzung von Lars Ricken eine weitere Steigerung erfuhr, nicht einmal die eingefleischten Fans übel nahmen. „Es war doch klar“, meinte Matthias Sammer, „dass die Freiburger in Ballbesitz Vorteile haben. Das ist eine technisch sehr gute und reife Mannschaft.“

Das ist vor allem ein echtes Kompliment für einen kleinen Aufsteiger aus dem Mezzogiorno der Bundesliga, der gegen einen Marktführer nur eines vergessen hatte: ein Tor zu erzielen. „Wenn wir in Führung gehen“, behauptete Andreas Zeyer, mit 35 Jahren nach Stefan Reuter (bald 37) der zweitälteste Feldspieler auf dem Platz, „dann kommen die Dortmunder nicht mehr zurück ins Spiel.“ Und Volker Finke beharrte auf der Auffassung: „Es war möglich, einen einfachen und verdienten Sieg mitzunehmen. Deshalb ist es ein Jammer.“

Sie werden bei der Ursachenforschung zuvorderst bei sich selbst anfangen und eine gewisse Kopflosigkeit nach dem Rückstand feststellen. Da dämmerte es Sebastian Kehl plötzlich, „dass wir das Spiel gewinnen. Dafür standen wir hinten einfach zu gut.“ Man kennt das ja von Freiburg: Spielen attraktiven, sehr gepflegten Fußball – „aber zum Glück nur bis zum Sechzehner“, spottete Kehl, der vor noch nicht allzu langer Zeit ja selbst Mitglied dieses künstlerisch veranlagten Ensembles war.

Dass es ein zäher, glücklicher Dortmunder Sieg war, fiel da schon nicht mehr ins Gewicht. Die Reklamation von Matthias Sammer („Dass es der fünfte Sieg im sechsten Pflichtspiel war, registriert hier gar keiner!“) ging ins Leere, weil darunter ein Sieg gegen Reutlingen im Pokal oder ein nutzloser gegen Brügge war. Nach dem Eklat von Stuttgart hat die Mannschaft die Mindestansprüche erfüllt, zumindest was das Engagement betrifft. Im Ranking hat die Borussia Anschluss gehalten. Die Balance zu halten zwischen Anspruch und Wirklichkeit wird aber die viel schwerere Aufgabe werden. „Unsere Probleme“, fürchtet Sammer, „werden uns noch lange beschäftigen.“ CHRISTOPH KIESLICH