Blair will nur den Ton ändern

Für den britischen Regierungschef ist der Labour-Parteitag in Brighton der schwierigste seit seinem Amtsantritt. Er ist so unbeliebt wie nie zuvor. Dabei geht es nicht nur um den Irak. An eine Änderung seiner Politik denkt Blair jedoch nicht

von RALF SOTSCHECK

Seine Politik bleibt die alte, aber seinen Ton will er ändern. Das wird Tony Blair den Labour-Delegierten auf dem Parteitag versprechen, der gestern Abend im südenglischen Seebad Brighton begann. Seine Berater, die die Rede kennen, sagen, dass Blair künftig „kommunizieren, zuhören und erklären“ wolle, bevor er Entscheidungen verkünde. Die stehen allerdings vorher fest. Aber Hinterbänkler und Wähler sollen glauben, dass sie gewissen Einfluss haben.

Blair steht vor seinem schwierigsten Parteitag seit seinem Amtsantritt als Labour-Chef 1994. Er ist so unbeliebt wie nie zuvor, die Bevölkerung misstraut ihm zutiefst, das hat die verlorene Nachwahl in Brent East vorige Woche gezeigt. Und seine Hinterbänkler misstrauen ihm auch. Ein Viertel von ihnen wünscht seinen sofortigen Rücktritt, ein weiteres Viertel gibt ihm noch bis zu den nächsten Wahlen, so hat eine Umfrage des Guardian am Samstag ergeben.

Grund dafür ist vor allem die Hutton-Untersuchung des Todes von David Kelly, der sich offenbar das Leben genommen hat, weil die Regierung ihn als BBC-Informanten bloßgestellt hat. In einem Radiobericht im Mai hatte der Sender behauptet, die Regierung habe ihr Irakdossier im vorigen Jahr aufgebauscht, um den geplanten Krieg zu rechtfertigen. Die BBC hatte Recht, das hat die Hutton-Untersuchung belegt. Vorigen Dienstag sagte John Scarlett, der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, Blairs Berater Jonathan Powell habe einen Tag vor Veröffentlichung des Dossiers dafür gesorgt, dass die milderen Einschätzungen über die Waffenfähigkeit des Irak gestrichen wurden. Blair muss nun befürchten, dass der zwar bedeutungslose, aber hochsymbolische Antrag gegen eine Invasion des Irak auf dem Parteitag eine Mehrheit findet.

Der Irakkrieg und Kellys Tod sind aber nicht seine einzigen Probleme. Blairs Plan, bessergestellte Studenten mit 3.000 Pfund im Jahr zur Kasse zu bitten, ist genauso umstritten wie die Halbprivatisierung von Krankenhäusern und die Reform des öffentlichen Dienstes. Blair will zwar eine Debatte über diese Punkte anbieten, doch es wird höchstens kosmetische Veränderungen geben. „Ein Rückzug wäre eine absolute Katastrophe“, hat er seinen Beratern erklärt. „Wenn du wirklich an das glaubst, was du tust, musst du die Probleme überwinden und weitermachen. Du darfst nicht die Nerven verlieren.“

Viele politische Kommentatoren glauben, dass Blairs Herrschaft ihrem Ende zugehe und Schatzkanzler Gordon Brown ihn bald ablösen werde. Angeblich haben die beiden vor neun Jahren im Londoner Restaurant Granita einen entsprechenden Pakt geschlossen. Gestern Abend lief auf Channel 4 der Fernsehfilm „The Deal“ von Stephen Frears, der dieses Essen zum Thema hat. Was wirklich an jenem Abend verabredet wurde, wissen freilich nur die beiden Dinnergäste. Ursprünglich wollte Frears den Film „Bambi und Stalin“ nennen. Blair hatte 1996, nachdem er das Parteiprogramm von sozialistischen Elementen bereinigt hatte, gesagt: „Voriges Jahr nannten sie mich Bambi, dieses Jahr nennen sie mich Stalin.“ Jetzt nennen sie ihn „Tory Blatcher“.

In dem Beharren auf seinen Standpunkt erinnert Blair an Margaret Thatcher, die er nicht nur bewundert, sondern der er auch in vielen Punkten nacheifert. Thatcher hatte ihren Kritikern 1980 trotzig erklärt: „Diese Lady ist nicht zu wenden.“ Blairs Botschaft ist dieselbe. Doch die Situation ist eine andere. Thatcher damals ihr Amt gerade angetreten, sie hatte noch keinen Krieg geführt, sie kämpfte nicht gegen ihre Partei, sondern nur gegen einige Patriarchen in der Führung, die Parteimitglieder liebten sie abgöttisch. Und der „Thatcherismus“ war klar definiert.

Was aber ist „Blairismus“? Die Herausgeber des Penguin-Lexikons stritten zwei Monate über eine Definition. Am Ende einigte man sich darauf, dass es eine „abgewandelte Form des traditionellen Sozialismus“ sei. Aber das ist „Blairismus“ keineswegs. Seine Berater drängen ihn, sich wenigstens eine sozialdemokratische Sprache anzugewöhnen. „Blair lehnt das ab“, sagte Tom Bentley, einer der Berater. „Sein langfristiges Ziel ist es, Labour zur selbstverständlichen Regierungspartei zu machen, und das erreicht man am besten in der politischen Mitte, glaubt er.“

Es sind die Tories, die ihm zumindest mittelfristig diesen Wunsch erfüllen und ihm eine dritte Amtszeit bescheren werden. Sie sind derzeit so schwach, dass sie in der Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen werden. Selbst Michael Portillo, der ehemalige Verteidigungsminister, stimmt dem zu: „Nach der Wahlniederlage 1992 hat sich die Labour-Führung gefragt: Wie sehr müssen sie uns hassen, wenn sie diesen Haufen uns vorziehen? Heute, nachdem Labour so enttäuscht hat, stellen viele Konservative dieselbe Frage.“

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