Reform-Bremser

Heute soll die Bildungsdeputation das neue Bremer Schulsystem „zur Kenntnis nehmen“. Grüne und GEW hielten schon gestern dagegen

„Dem Modell ‚sechsjährige Grundschule‘ wird das Wasser abgegraben“

Bremen taz ■ Früher zur Schule, früher Noten im Zeugnis, früher auf getrennten Bildungswegen – das ist die Kurzform des neuen Bremer Schulsystems, das die Bildungsdeputation heute Nachmittag „zur Kenntnis nehmen“ soll. Die Orientierungsstufe fällt weg, Eltern sollen stattdessen schon Ende der vierten Klasse entscheiden, ob ihr Kind auf eine Sekundarschule – so heißen künftig die zusammengelegten Haupt- und Realschulen –, eine Gesamtschule/Integrierte Stadtteilschule oder ein Gymnasium wechseln soll. Unisono kritisierten gestern Grüne und Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nochmals diese frühe Selektion. Der von der großen Koalition geplante „Wettlauf zwischen den Schularten“ werde zu einer „sozialen Entmischung und zur Bildung von Restschulen“ führen, kritisierte die GEW.

Die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Anja Stahmann, warf der SPD vor, sie habe im Wahlkampf „ganz andere Sachen versprochen“ als sie jetzt zusammen mit der CDU umsetze. Im neuen Bremer Schulsystem würden Schüler „relativ schnell und zügig nach unten gestuft“, gleichzeitig sei es aber „wenig durchlässig nach oben“.

Gegen die frühe Selektion, die die große Koalition jetzt einführen will, hätten sich auch die meisten Beteiligten des Runden Tisches Bildung (RTB) ausgesprochen. Dieser hatte nach Bekanntgabe der für Bremen verheerenden PISA-Ergebnisse monatelang über das neue Bremer Schulsystem debattiert. Der von der SPD jetzt immer wieder angeführte Brief des RTB-Moderators und Stuttgarter Pädagogen Wolfgang Harder, in welchem dieser die bildungspolitische Linie der großen Koalition befürwortet, gebe nicht die Mehrheitsmeinung des RTB wieder. Das Papier sei daher lediglich ein „politisches Feigenblatt“, hinter dem sich die Genossen versteckten, der ganze RTB eine „Alibiveranstaltung“ gewesen, stichelte Stahmann. Sie forderte eine erneute Diskussion: Die geplante Schulgesetz-Reform müsse „um mindestens ein Jahr verschoben“ werden.

Selbst eigentlich positive Ansätze wie jahrgangsübergreifender Unterricht in der Grundschule, kritisierte die Grünen-Politikerin gestern, würden durch den gestiegenen Leistungsdruck wieder konterkariert. Die ab Klasse 3 verbindlich vorgesehenen Noten ließen einen Trend weg vom Projekt- zurück zum Frontalunterricht befürchten.

Eine Farce ist nach Ansicht der Grünen auch das Zugeständnis der CDU, den Modellversuch „sechsjährige Grundschule“ – derzeit in Gramke und am Alten Postweg realisiert – weiterzuführen und bei entsprechender Nachfrage auch auszuweiten. Nach der sechsten Klasse ist ein Wechsel aufs zwölfjährige Gymnasium nämlich nicht mehr erlaubt, das Abitur daher erst nach 13 Jahren möglich – ein Nachteil, der die Nachfrage nach sechsjährigen Grundschulen eher drücken dürfte. Stahmann kritisierte, dem Modell werde de facto „das Wasser abgegraben“ – ein Beweis dafür, mit welch heißer Nadel das Gesetzesvorhaben aus dem Hause von Bildungssenator Willi Lemke (SPD) gestrickt sei.

Einige Fragen sind noch gänzlich ungeklärt. Melden sich etwa mehr SchülerInnen für eine Schule oder einen Bildungsweg an, als dort Plätze zur Verfügung stehen, will die Behörde künftig auswählen. Welche Kriterien dabei wie gewichtet werden – in Diskussion sind Wohnort, Leistung und eingeschlagenes Bildungsprofil – soll per Rechtsverordnung geregelt werden. Offen ist ebenfalls, ob es künftig nicht nur bis zum Ende der sechsten, sondern sogar bis zur neunten Klasse kein Sitzenbleiben mehr geben wird. Armin Simon