Knoten im Ohr

Das Amadinda Ensemble aus Uganda stellte im Rahmen des Festivals der Kontinente Tradition gegen Avantgarde

Die rhythmische Komplexität der Avantgarde gilt ja immer als etwas Artifizielles. Die verwegen proportionierten Notenungetüme, heißt es, zeugen eher von mathematischem Gehorsam als von lebendiger Musikpraxis. Dass man aber einfach einen Knoten im Ohr hat und sich ein Leben lang auf den 4/4-Takt hat eichen lassen, das erfährt man, wo einem die rhythmische Vielschichtigkeit der außereuropäischen Musik das Gehör durchspült. Wie zum Beispiel das Amadinda Ensemble aus Uganda.

Das „Fest der Kontinente“ hatte das Ensemble eingeladen, um Parallelen zwischen der afrikanischen Tradition und der europäischen Avantgarde aufzuzeigen. Denn im Mittelpunkt des Festivals stand der achtzigjährige Komponist György Ligeti, der die Impulse der außereuropäischen Musik in besonderem Maße aufgegriffen hat. Und so kam es zu der so klugen wie seltenen Gegenüberstellung zweier musikalischer Sphären, die man sonst fahrlässig trennt.

Noch im Jahr 2000 hat Ligeti seinen Zyklus „Síppal, dobbal, nádihegedüvel“ („Mit Pfeifen, Trommeln, Schilfgeigen“) komponiert, sieben Lieder nach Gedichten von Sándor Weöres für Mezzosopran und vier Schlagzeuger. Die Stimme färbt ihre Partie mit dem Idiom der ungarischen Volksmusik, die Schlagzeuger hingegen heben das Stück in die rhythmische Schwebe. Hier lassen die sich ständig zuwiderlaufenden Metren den Hörer orientierungslos zurück; dort sind es seltsam dezentrierte Akkorde, vor denen die musikalische Zeit still steht. Das ist alles ausgesprochen kunstvoll. Und es ist immer auch die Spielfreude schon mitkomponiert – „musikantisch“ im guten wie im schlechten Sinne des Wortes.

Die perkussiven Techniken seiner jüngeren Werke hat Ligeti von der afrikanischen Musik übernommen, deren Wurzeln das Amadinda Ensemble freilegte. Im Mittelpunkt des Programms standen kurze musikalische Erzählungen, die mit einem spröden, auf Nachdruck verzichtenden Klang vorgetragen wurden. Aber man musste schon durch die mehrschichtig kreisenden Stimmen hindurchhören, um sich von den überlagernden Metren nicht aus der Fassung bringen zu lassen und dem Zusammenhang unter den Stimmen auf die Fährte zu kommen. Wer vom Unterschied zwischen „komplex“ und „kompliziert“ noch nichts wusste, bekam ihn jetzt exemplarisch vorgeführt.

BJÖRN GOTTSTEIN

Fest der Kontinente, bis 2. 10., Programm: www.fest-der-kontinente.de