„Doppelt so lang wie mit der Dampflok“

Michael Cramer (Grüne) will ab 2004 im Europaparlament Verkehrspolitik machen. Dafür nominierten ihn jetzt die Grünen in Berlin und Brandenburg. Über die endgültige Kandidatenliste entscheidet Bundesparteitag Ende November

taz: Herr Cramer, Sie wollen 2004 ins Europaparlament. Gefällt es Ihnen nach 14 Jahren im Abgeordnetenhaus nicht mehr?

Michael Cramer: Doch, sogar sehr gut. Aber es ärgert mich, dass in der europäischen Verkehrspolitik so viele Fehler gemacht werden.

Was wollen Sie ändern?

Die EU-Kommission hat sich erst im Januar, viel zu spät, Gedanken gemacht, die europäische Verkehrsinfrastruktur auf Osteuropa auszudehnen. Kürzlich bin ich im Zug nach Tallin gefahren: 60 Stunden, 9-mal umsteigen, und über die Grenze von Estland nach Lettland zu Fuß. Statt diese Situation zu verbessern, hält EU-Ratspräsident Berlusconi eine Brücke nach Sizilien für prioritär. Das zum Beispiel will ich verhindern.

Was können Sie Ihrem Bundesparteitag, der Ende November über die endgültige Kandidatenliste entscheidet, außer Verkehrspolitik noch bieten?

Ich habe Erfahrung, wie man eine Stadt einigt und wie ein Land zusammenwächst. Diesen Prozess will ich auch in Europa begleiten. Was mit Frankreich an Aussöhnung möglich war, muss auch mit den mittel- und osteuropäischen Staaten gelingen.

Welche Chancen geben Sie sich? 1999 schafften es nur drei grüne Männer ins Parlament.

Da hatten wir auch nur sieben Mandate, weil die Stimmung wegen des Kosovokrieges für uns im Keller war. Dieses Mal haben wir gute Chancen auf zehn …

Das heißt wegen der Frauenquote: maximal fünf Männer.

… und ich werde für den dritten oder vierten Männerplatz antreten.

Die Konkurrenz ist groß: unter anderem der EU-Abgeordnete Graefe zu Baringdorf, Daniel Cohn-Bendit, jetzt für die französischen Grünen dabei, Cem Özdemir, Bergsteiger Messner…

Messner hat zurück gezogen.

Bleiben die anderen.

Ich bin zuversichtlich, auch weil die Bundesarbeitsgemeinschaft Verkehr der Grünen meine Bewerbung einstimmig unterstützt. Ohne eine Wende in der Verkehrspolitik wird die EU ihre Kioto-Verpflichtungen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes nicht erfüllen können.

In ein paar Tagen wird Ihr Landesverband 25. Manchem fällt dabei ein, dass es mal so etwas wie Rotation gab. Der sagt vielleicht zu Ihrem Wechsel: Erst Dauerabgeordneter hier, bald auch noch mit doppelt so viel Geld in Europa versorgt.

Versorgt ist unpassend. 14 Jahre lang habe ich als Berliner Abgeordneter viel gearbeitet. Ich glaube, dass ich auch im EU-Parlament für Berlin viel erreichen kann. Die für Osteuropa wichtigsten Eisenbahnstrecken gehen von hier aus, doch heute dauert es doppelt so lang wie 1935 mit der Dampflokomotive. Hätten wir dort das Tempo Berlin–Hannover, wir wären in 10 statt in 60 Stunden in Tallin. Wenn dieser Standard in Mittel- und Osteuropa erreicht ist, nützt das auch Berlin.

INTEVIEW: STEFAN ALBERTI