„Die Kinder sind hungrig nach Sprache“

Behörde: Keine falschen Zahlen bei Sprachstandserhebung. Ausführlicher Bericht wirft weitere Fragen auf

Alexander Luckow legt Wert darauf, dass sich die Bildungsbehörde beim Ergebnis der Sprachstandserhebung nicht verrechnet hat. „Wir haben die Zahlen herausgegeben, die aus unserer Sicht von besonderer Bedeutung sind“, sagt der Schulbehördensprecher. Und dies sei nun einmal der „Sprachförderbedarf im Deutschen“.

Luckow hatte als Ergebnis der Viereinhalbjährigen-Untersuchung durch die Schulleiter erklärt, knapp vier Prozent der einsprachig deutschen Kinder hätten einen „Förderbedarf“ in Deutsch. Bei den zweisprachigen Kindern mit Migrationshintergrund wären dies jedoch rund 51 Prozent. Wie berichtet, gab es um diese Zahlen einen Disput im Schulausschuss. Die SPD-Abgeordnete Luisa Fiedler sah in ihnen die Gefahr der Diskriminierung. Zudem bezweifelt sie die wissenschaftliche Verlässlichkeit der Zahlen.

Er räume den „Experteneinschätzungen“ durch Schulleiter einen „hohen Stellenwert“ ein, erwiderte darauf Peter May vom „Landesinstitut für Lehrerbildung“ (LI), der die 1.822 Protokolle ausgewertet hatte. Allerdings seien die von der Behörde genannten Zahlen „missverständlich“. Denn in der allgemeinen Sprachentwicklung wurde 17,3 Prozent der einsprachig deutschen Kinder und 37,3 Prozent der Migrantenkinder ein Förderbedarf attestiert.

Bei Lektüre des LI-Berichts relativieren sich die Zahlen noch weiter. So heißt es dort, dass die Schulen eher „mögliche“ Beeinträchtigungen notierten. Auch sei die Auswertung erschwert worden, weil die Kategorien auf dem Ergebnisbogen nicht mit denen übereinstimmten, die für die Protokollierung der Kindergespräche vorgesehen waren. Einige Gespräche kamen offenbar gar nicht richtig zustande, weil die Kinder zu schüchtern waren. So wurde bei insgesamt 17 Prozent der Migrantenkinder im Protokoll bei Sprachförderbedarf „ist nicht feststellbar“ angekreuzt. In der Kopie eines Blanko-Ergebnisbogens allerdings, der der taz vorliegt, wurden die Felder „nicht feststellbar“ geschwärzt. Es blieb dort also nur „ja“ oder „nein“.

Generell klaffen die Werte im Protokoll nur selten weit auseinander. So wurden „Auffälligkeiten bei der Bewältigung sprachlicher Aufgabenstellungen“ zwar 31,9 Prozent der zweisprachigen und nur 7,6 Prozent der einsprachig deutschen Kinder attestiert. Schwierigkeiten bei der Artikulation haben aber 20,7 Prozent der einsprachigen und 25,7 Prozent der zweisprachigen Kinder. Zur Einschätzung der Sprache wurden darüberhinaus die Eltern befragt, welche die Deutschfähigkeiten ihrer Kinder zu 83,6 Prozent als „gut“ oder „zufriedenstellend“ einstuften. Zusätzlich wurde abgefragt, welche Sprache die Familien Zuhause sprechen. Hier ergab sich mit 48,8 Prozent für die, die „in der Regel“ nicht Deutsch sprechen, der höchste Wert. Wenn in diesen Fällen auch noch die Eltern sagten, dass ihr Kind schlecht Deutsch spreche (16 Prozent), sollten die Schulleiter ebenfalls im Endbogen den Förderbedarf ankreuzen.

All dies war den Schulen in einem „Auswertungsschema“ der Behörde vorgegeben, in dem übrigens angekündigt wurde, dass jedes Kind, das „noch keine ganztägige Kita besucht“, bei Vorlage des Bogens beim Jugendamt einen Kita-Gutschein für „bis zu acht Stunden“ täglich bekäme – tatsächlich wurden in Folge der groß angelegten Aktion lediglich die Vorschulen etwas voller.

Doch ob dort, wo die Lernzeit kürzer und die Lerngruppen größer als in einer Kita sind, die Kinder besser aufgehoben sind, wagen manche zu bezweifeln. „Die Kinder können in ihrer Herkunftssprache schon viel und sind hungrig nach Sprache“, sagt Luisa Fiedler. Was sie dringend brauchten, wäre eine „Chancenverdichtung in der deutschen Sprache“. Kaija Kutter