berliner szenen Letzter Sommertag

Auf dem Dach

Es war schon fast abends. Vielleicht der letzte Tag des Sommers. Leicht melancholisiert stiegen wir auf das Dach. N. reichte mir Decken, Bücher, Zeitungen, Bier und einen klapprigen Liegestuhl durch die Dachluke. Der Wind war sanft hier oben. Die tausend Schornsteine und sinnlosen Antennen wirkten sehr urban wie die auf die Häuser raufgebauten Stockwerke für die Architekten (sag ich mal so), in deren Fenster wir gucken konnten.

Es gab noch zwei Kräne, ein paar Baumkronen, hier und da auch Graffiti, die an den Mut ihrer Macher erinnerten. Da war die Charité, dort die Synagoge und da hinten das Tempodrom. Der Fernsehturm war der Anführer der Gebäude. Rötlich ging der Mond auf und das Dach der Synagoge schimmerte golden. Es war ruhig, der ferne Lärm der Autos bildete eine Fläche, aus der sich vereinzelte Geräusche erhoben: ein Motorrad, zwei Vögel, die Straßenbahn, ein einzelner Glockenschlag; jemand lachte und dann klang es, als wenn da eine Stewardess mit ihrem schweren Rollkoffer über das Kopfsteinpflaster gehen würde.

N., die sich auskannte, ging über den Dächern spazieren und wurde zum Schattenriss. Der Mond sah aus wie auf diesem Bild von Caspar David Friedrich, manchmal auch ganz milchig psychedelisch. Am Horizont Richtung Osten ballten sich dunkle Wolken ineinander. Das sah aus wie ein Atompilz und bewegte sich langsam Richtung Mond und Osten, genau auf uns zu. Stundenlang, wie mir schien, gab’s dann das „Naturschauspiel Wetterleuchten“ und man fühlte sich, während man die Blitze in den Wolken anstaunte, wie in einem Film. Komisch, dass man dabei immer den Eindruck einer Verlangsamung hat, wo ein Film doch viel schneller vorbeigeht als das Leben. DETLEF KUHLBRODT