Dies ist nicht Portugal

Die griechischen Europameister verlieren ihr WM-Qualifikationsspiel in Albanien mit 1:2, doch Trainer Otto Rehhagel schafft es immerhin, dem Kollegen Hans-Peter Briegel aus dem Weg zu gehen

AUS TIRANA TOBIAS SCHÄCHTER

Am halb vier Uhr in der Früh war es so weit: Der lange Igli Tare, der kleine Altin Lala, der alte Foto Strakosha und all die anderen Helden, längst nicht nur vom puren Ereignis dieser unvergesslichen Stunden für Albanien berauscht, schnappten sich den grau gelockten Pfälzer. Ihn auf ihren Armen tragend, wollten seine Spieler Hans-Peter Briegel den Sternen über der Adria und seinem unausweichlichen Schicksal entgegenwerfen. Ein letzter Satz, und die gewesene Walz von der Pfalz sollte in hohem Bogen in den Hotelpool fliegen. Doch Briegel blieb in der Stunde des Triumphs auf dem Boden.

Dennoch feierten die albanische Fußballnationalmannschaft und ihr deutscher Trainer den 2:1-Sieg gegen Europameister Griechenland, als gäbe es kein Morgen. In die Luft zu springen ist dem 48-jährigen Briegel aber nicht mehr vergönnt. Nach drei Achillessehnenoperationen hatten seine Versuche, es direkt nach dem Abpfiff den ekstatisch feiernden Menschen im Stadion von Tirana gleichzutun, etwas Tragisches: Der ehemalige Weltklassespieler kam einfach nicht hoch. Auf den Schultern wollten sie ihn dann durch das Stadion tragen. Erfolgreich erwehrte sich seine Bescheidenheit der Versuche, ihn als Volkshelden den Fernsehkameras zu präsentieren. „Wir konnten heute nichts verlieren und haben alles gewonnen“, sagte Briegel heiser. Überschwänglicher Applaus albanischer Journalisten bei der Pressekonferenz in einem kleinen, überfüllten Kabuff. Unaufgeregt analysierte Briegel die vergangenen 90 Minuten. Dann, endlich, wollte ein Grieche wissen, ob Otto Rehhagel, Griechenlands Nationaltrainer, ihm denn zum Sieg gratuliert habe. Briegel lehnte sich langsam zurück – und nach einer kurzen Pause sprach er genüsslich ein lang gezogenes, aber lautes „Nein“.

Der Beginn der Männerfeindschaft zwischen Otto Rehhagel und Hans-Peter Briegel liegt sieben Jahre zurück. Der damalige Sportdirektor des 1. FC Kaiserslautern Briegel kritisierte den Trainer Rehhagel öffentlich. Worauf der Meister der Ottokratie das FCK-Idol als „Lehrling“ abmeisterte. Am Samstagabend in Tirana hatte es mitunter komische Züge, mit welchen Volten der kalte Krieger Rehhagel es vermied, seinem Intimfeind Briegel zu begegnen. Als Letzter kam der 66 Jahre alte Trainer aus der Halbzeitpause zurück auf den Platz, den Kopf streng auf den Boden gerichtet. Im letzten Moment, bevor er an der albanischen Bank und somit an Briegel hätte vorbeigehen müssen, machte der listige Rehhagel einen Schwenk und lief schnellen Schrittes hinter der Bank entlang. Eine wahre Meisterleistung bei der Briegel-unbedingt-nicht-in-die-Augen-schauen-wollen-Weltmeisterschaft. Die hat Rehhagel souverän gewonnen. Als Europameister aber hat er nicht nur das erste Pflichtspiel nach dem Coup von Portugal verloren, sondern auch den Start in die WM-Qualifikation vermasselt.

„This is not Portugal“, leuchtete den Griechen beim Einlaufen von einem Plakat unheilvoll entgegen. Und nichts an dem mutlosen Auftritt der stolzen Hellenen erinnerte an die Erfolge, die den vorwitzigen Emporkömmling im lusitanischen Sommer zu einer Weltsensation des Fußballs werden ließen. Mit der Rolle des Favoriten waren die Griechen überfordert. Der Meister präsentierte sich als Lehrling. Rehhagels Analyse, als er zehn Minuten vor Briegel der grimmigen Masse griechischer Reporter gegenübersaß, brachte nicht viel über die Gründe für die traurige Leistung seiner Spieler ans Licht. „Wir haben ja zwei Selbsttore geschossen“, resümierte Rehhagel übellaunig. Hemmte die bisher nicht gezahlte EM-Prämie seine Spieler?

Überheblich beginnend, lagen sie schon nach zehn Minuten mit 0:2 zurück. Beim 0:1 bediente Fyssas, der Grieche, Murati, den Albaner, als sei es abgesprochen gewesen, und Torwart Nikopolidis stand beim 0:2 von Adrian Aliaj nur staunend daneben. Vor der Pause gelang Giannakopoulus zwar noch der Anschlusstreffer, aber in Halbzeit zwei erfuhr die schon in Portugal von Kritikern konstatierte Schwäche des Europameisters – spielerisch den Weg in des Gegners Strafraum nur selten zu finden – harte Bestätigung. Wenn auch noch Fehler in der Abwehr hinzukommen, wo Dellas als einziger EM-Held fehlte, ist Griechenlands Auswahl nur eine gewöhnliche Mannschaft, die zu Recht in Albanien verliert. „Viel verspielt haben wir“, gab Rehhagel kleinlaut zu. Fragen bezüglich Briegel ließ er von seinem Übersetzer mit einer arroganten Handbewegung abkanzeln. Das Pressegespräch brach er schnell ab. Am Mittwoch geht es in Piräus gegen die Türkei.

Der Kater ist groß in Griechenland. Derweil schwebten die Helden auf Wolke sieben. Gestern war sich Briegel nicht sicher, ob das Flugzeug zum Spiel in Georgien von allen Spielern rechtzeitig erreicht werden wird. Ministerpräsident Fatos Nano hatte bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz, die an groteske Szenen aus Emir-Kusturica-Filmen erinnerte, 500.000 Dollar aus der Staatskasse des bettelarmen Landes für einen Sieg versprochen. Dies erschwert zusätzlich die Aufgabe Briegels, seine Spieler wieder dorthin zu bringen, wo Griechenlands Himmelsstürmer am Samstag so unsanft gelandet sind: auf dem harten Boden der Realität.